Kroatien, Tag 1: “Dauerproblem Abwanderung”
Mit etwas Verspätung komme ich in Split an. Zugegeben, Kroatien war nicht meine erste Wahl und auch nicht meine zweite oder dritte – aber Hauptsache Süden, oder nicht? Noch zeigt sich das Wetter wenig einladend: Es regnet leicht, ist kalt und trüb. Aber das kann ja noch werden.
Das Meer in Reichweite, für mich die Idealvorstellung. Doch wie "ideal" ist das Leben hier wirklich für junge Menschen?
Mein eigentliches Ziel ist es jedoch, die Lage junger Menschen hier zu verstehen. Herrscht noch immer die große Abwanderung? Oder nisten sich langsam immer mehr Start-ups und Digital Nomads ein? Was bietet die Politik, um ihre Jugend zu halten, und welchen Einfluss hat die allgegenwärtige Korruption auf die Stimmung der Jugendlichen?
Vor mir liegen einige spannende Begegnungen und Gespräche.
Das erste habe ich vorab mit Ivan Perkov geführt. Er wurde in Split geboren und ist heute Soziologe und Dozent an der Universität Zagreb. In seinem Kurs „Politik und Gesellschaft” widmet er ein eigenes Modul jungen Menschen.
Seine Diagnose: Die Lage in Kroatien ähnelt der in anderen europäischen Ländern. Junge Menschen stehen unter großem Druck, die richtige Ausbildung für den immer unübersichtlicheren Arbeitsmarkt zu wählen. Zugleich habe sich die Jugendarbeitslosigkeit stark verbessert: „Vor rund zehn Jahren lag sie bei über 50 Prozent. Heute sind es vielleicht noch zehn Prozent.“ Die Jugend stehe heute also besser da, betont Perkov, doch stabil sei das nicht. „Sollte sich die globale Wirtschaftslage wieder verschlechtern, könnten diese Fortschritte schnell zunichte gemacht werden.“
Ein Dauerproblem bleibe die Abwanderung: Besonders aus Slawonien, der strukturschwachen Ostregion, zieht es viele junge Leute weg. „Sie gehen zum Studium nach Zagreb und von dort oft weiter ins Ausland.“ In der Hauptstadt und an der Küste hingegen entstehen neue Start-ups, Co-Working-Spaces und kreative Hubs. „Das Leben dort ähnelt dem in Wien oder Amsterdam“, meint Perkov. Ob es sich dabei um einen langfristigen Trend handelt, wird sich zeigen.
Ein weiteres Hindernis sei die Bürokratie. „Viele Verfahren stammen noch aus der sozialistischen Zeit und sind für Gründer entmutigend.“ Zwar gibt es erste Erleichterungen, doch der Papierkrieg schreckt insgesamt viele ab.
„Die Jugend steht heute besser da als noch vor zehn Jahren. Aber stabil ist die Lage nicht.“ Soziologe und Universitätsprofessor Ivan Perkov. © Branko Nađ
Kriegsgeneration und neue Herausforderungen
Was die Jugend in Kroatien besonders macht? „Wir haben eine komplizierte Geschichte, die noch immer präsent ist." In den 90er-Jahren erlangte Kroatien seine Unabhängigkeit von Jugoslawien. „Diese Unabhängigkeit hatte ihren Preis: den Krieg. Das hatte starke Auswirkungen auf die damalige Jugend, zu der auch ich gehörte. Wir waren eine Art Kriegsgeneration.“ Zwar spielt das Thema für die heutige Jugend eine kleinere Rolle, aber es prägt das gesellschaftliche Klima bis heute.
Mit den Jugendbewegungen in Serbien sei die Situation in Kroatien jedoch nicht vergleichbar. Es gebe eher Jugendbewegungen im Zusammenhang mit studentischen Rechten. Die letzte größere Studentenbewegung gab es 2009. Politisch aktiv seien junge Menschen kaum, so Perkov: „Einerseits zeigt das, dass es keine dramatischen sozialen Probleme gibt. Andererseits werden sie so leichter von Eliten instrumentalisiert oder auch ignoriert.“
Ob Kroatiens Jugend zwischen Abwanderung und Aufbruch wirklich eine Zukunft findet, wird sich in den nächsten Gesprächen zeigen. Split sei jedenfalls der richtige Ort für meine Recherchen, meint Ivan Perkov. „Denn Split vereint gewissermaßen ganz Kroatien im Kleinen.“