Estland, Tag 3: In der Wildnis
von Florian Sulzer (Nachtrag vom 27.Sep. – Laptop und Outdoorcamp harmonierten nicht so ganz)
Es ist 6:39. Ich blicke nach links und stelle den iPhone Wecker ab, der gleich jeden Moment losgehen sollte. Einmal schnell unter die Dusche, Koffer packen, für einen Moment am Frühstückstisch verweilen und dann gehts kurz nach acht Uhr Richtung Läänema zum RMK Allikjärve lōkkekoht, einem Campingplatz mitten im Nirgendwo. Zwei Tage werde ich hier mit den Jugendorganisationen der Kaitseliit – den “Jungen Adlern” und “Heimattöchtern” – im Wald verbringen.
Gruppenleiter Taavi erklärt den Teilnehmenden die Sicherheitsvorkehrungen.
Die letzten Kilometer geht es über eine Buckelpisten-ähnliche Straße dahin. Dort werde ich schon von einem Mann und einem Jungen, beide in grüner Tarnuniform gekleidet, erwartet. Der Junge spricht ein wenig Englisch und erklärt die Lage. Der geplante Campingplatz ist von anderen Gästen belegt und die beiden suchen gerade nach Alternativen in der Umgebung. Während sie noch auf Google Maps die nächstgelegenen Campingareale auskundschaften, trifft die Filmcrew aus Wien samt Übersetzerin von gestern ein. Es wird ein wenig auf Estnisch geredet und schon fahren wir in einer Kolonne zu einem anderem Campingplatz weiter westlich. Zehn Jugendliche sind heute beim Camp dabei. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde und Sicherheitsanweisungen für das Wochende in der Natur, gehen zwei Jungs schon in den Wald, um Feuerholz zu sammeln. Die beiden, Artur und Rander, sind 15 Jahre alt und schon seit 4 Jahren bei der Organisation. Sie haben sichtlich Freude daran mit ihren schwarzen Stiefeln durch den Wald zu stapfen und passende Bäume zu finden und zu fällen. Gruppenleiter Taavi, der seine längeren Haare zum Zopf gebunden trägt, zeigt inzwischen den Jüngsten – Jakob und Ragi (beide 10) – wie man richtig Feuer macht. Es ist das erste Camp von Ragi und man merkt ihm richtig an, wie stolz er auf das, mit Feuerwolle und einer Batterie, selbstgemachte Feuer ist. Kurz habe ich nicht aufgepasst und da steht schon das Zelt, fast fertig, natürlich auch in grüner Tarnfarbe, passend zu den Uniformen der “Jungen Adler” und der “Heimatstöchter”.
Rander und Artur sammeln Feuerholz.
Nachdem das Camp aufgebaut und die Gegend ausreichend erkundet wurde, geht es schon daran das Abendessen zuzubereiten. Dafür gibt es bei den Kodutütred (Heimattöchter) auch ein eigenes Abzeichen – für die Männer aber noch nicht, was auch Helina, die Gruppenleiterin der Mädchen und die Ehefrau von Gruppenleiter Taavi bekritelt. Heute gibt es Fisch mit Kartoffeln. Taavis Messer stanzt ein kleines Loch in das Filet, in das ein Zahnstocher wandert, um den Fisch am Holzbrett zu befestigen. Zum Schluss wird das Brett auf den Grill gelegt – senkrecht. Eine echte nordische Spezialität, wie man mir erklärt. Raucharomen inklusive.
Gruppenleiter Taavi präpariert den Fisch fürs Abendessen.
Die leeren Teller und haufenweise Alufolie türmen sich nach dem Abendessen. Während wir abräumen, bemerke ich wie mich die Müdigkeit übermannt. Die Jugendlichen hingegen scheinen noch Energie übrig zu haben und bleiben an der Feuerstelle um Marschmallows zu grillen. Ich hingegen verkrieche mich ins Zelt, um der Kälte zu entfliehen. Das klappt ganz gut, dank des laufenden Kamins…bis Taavi mir mitteilt, dass der Kamin in Schichtbetrieb von uns in der Nacht am Laufen gehalten wird.