Prag (1) Ist Babiš jetzt eine Gefahr für die tschechische Demokratie, oder nicht?  

Ich sitze im Zug von Wien nach Prag. Ein Kleingarten flitzt nach dem anderen neben mir vorbei. Ich wollte meine Recherchereise nach Tschechien ja mit folgender These starten: Andrej Babiš wird mit seiner Partei ANO höchstwahrscheinlich die nächsten Parlamentswahlen gewinnen und den Premier stellen. Das könnte – je nach Koalitionsmöglichkeiten - bedeuten: Ein weiterer EU-Staat stolpert einen großen Schritt nach rechts. Deshalb hat mich die Anmerkung am Schluss einer E-Mail von Amálie, die einen Film über die Anti-Babiš-Bewegung „a milion chvilek pro democracii“ gemacht hat, mit der ich mich u.a. treffen werde, verwundert:

„One last thing — the situation now feels different compared to the last elections. People no longer see Babiš as such a major threat. The current government isn’t very strong in communicating their achievements, so it feels like many have simply forgotten about him.“

Babiš wird als Trump Europas bezeichnet, aber Menschen sehen ihn nicht als größte Gefahr? Was ist dann die größte Gefahr? Ganz im Gegenteil sagt Martin, ein bekannter tschechischer Youtuber, der tatsächlich einen großen Einfluss auf die letzten Wahlen hatte, dass er nicht mit mir über die tschechische Politik sprechen möchte - aus großer Verzweiflung:

„I’m pretty frustrated about politics and I’m pretty stressed out about the whole situation. The result is not gonna be anything that the people wish for (in the cities). I think the battle is lost”.

Irgendwie passen diese beiden Aussagen für mich nicht ganz zusammen. Ist Babiš jetzt das große Problem oder nicht? Ganz einschätzen kann ich Babiš - zuvor als große Gefahr für die Demokratie glorifiziert - jetzt doch nicht.

Also frage ich bei einem Professor für Tschechische Geschichte an der Uni Wien, Mojmir Stransky, nach. Er antwortet mir, dass Babiš als Populist nicht der Rechten zuzuordnen ist. Im Jahr 2011 gründete er seine Partei, die ANO - und präsentierte sie als liberal. Als er schließlich regierte, bewegte er sich rhetorisch und politisch nach links, beförderte die Kommunisten aus dem Parlament – und dann bog er nach rechts ab. Zumindest versucht er, Menschen aus dem rechten Spektrum für sich zu gewinnen, jedoch nicht mit den klassischen Themen der Neuen Rechten wie Anti-EU, Anti-Migration und Pro-Russland.

Aber: Stransky beschreibt Babiš als „Toröffner“ für die rechtsextremen Parteien STACILO und MOTORISTE.

„Falls diese Parteien die 5 % Hürde schaffen, kann das mittelfristig die Tschechische Politik stark in das Ungarisch-Slowakischen Fahrwasser bringen.“

Jetzt passt Amálies Aussage schon besser in mein Bild. Babiš klingt eher wie ein Opportunist, der links ist, wenn er die Kommunisten aus dem Parlament bekommen will und rechts abbiegt, wenn er damit potentielle Wähler*innen für sich gewinnen kann.

Ich komme bald in Prag an. Heute Abend lautet mein Abendprogramm: Ins Hotel einchecken und die kommenden Tage planen.

 

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