Rumänien: Willkommen bei den Hunger Games

In Österreich wird aktuell viel über Lebensmittelpreise diskutiert — haben Sie schon mal nachgedacht, auf wer die niedrigen Preise ermöglicht? Hilfsarbeiterinnen aus Rumänien gibt es nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Pflege und am Bau.

Mein Name ist Franziska Schwarz, ich darf beim Nachrichtenmagazin profil über alles schreiben, wozu es mir unter den Finger brennt. Dieses Jahr darf ich im Rahmen von Eurotours aus Rumänien berichten.

Aktuell arbeite ich an einer internationalen Kooperation zu Erntehelfern in der EU. Und wie es um Arbeitsrecht etc. steht. Deshalb war ich am Montag in Sibiu, in der Mitte Rumäniens. Geplant war ein interview mit einem Sozialanthropologien, der schon lange zum Thema Arbeitsmigration aus Rumänien arbeitet.

 

2015 sagte der damalige Minister Ioan Rus, dass die Rumäniens jugendliche Punks und die Frauen “Huren” werden würden, weil die Männer ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten. Die sogenannten “zurückgelassenen Kinder” sind ein großes Thema in Rumänien, etwas mit dem fast alle Mittelstands-Familien zu tun haben. Und auch: Die Coronapandemie hat allen Beteiligten verdeutlicht, dass sie Menschen zweiter Klasse sind — sie müssen arbeiten, sie werden von den westlichen EU-Staaten nicht geschützt. Die 24h-Pflegerinnen werden aus Sibiu nach Österreich oder Deutschland geholt, ihre Gesundheit steht nicht an erster Stelle. Ein Grund für den Rechtsruck in Rumänien, so mein Interviewpartner. Früher waren die Pendler:innen den liberalen Parteien zugewandt, heute geht es nach politisch rechts.

Weil dieser Blog legerer ist, also mein finaler Artikel, gehe ich jetzt nicht auf jedes Detail aus dem Interview ein (und verrate Ihnen auch den Namen des Gesprächspartners nicht) und gebe hier keine Details Preis. In diesem Fall ist es so einfacher ein ungeschöntes Bild der Situation zu zeichnen.

Europas Wirtschaft braucht auf Ausbeutung. Die Rumänen lösten nach der EU-Osterweiterung 2004 die Polen als Hilfsarbeiter ab (im Bau, in der Landwirtschaft, in der Pflege), im Land selbst gibt es interne Arbeitsmigration — wie so oft in Osteuropa sind es Roma (Sinti*zze und Romnja), die die ausbeuterischten aller Jobs arbeiten.

Mein Interviewpartner erzählte mir von einer Situation, bei der in einem Dorf ein lokaler Schäfer (Schäferin) für die Dorfweide gesucht wurde. Lange hatte die Arbeit ein Mann mit Behinderung gemacht, dann kam eine Roma-Familie, die weniger Geld verlangte. Die bekam den Job, nur wollte die Dorfgemeinschaft der Familie am Ende der Saison nicht das vereinbarte Gehalt zahlen, weil das Familienoberhaupt nicht lesen konnte. Das war aber nur der Anfang der Geschichte.

Der Wissenschaftler aus Sibiu begann die Erzählung mit den Worten, dass er sich gefühlt habe, wie bei den Hunger Games. Wer hält es aus unter den schlimmsten Bedingungen für das geringste Geld zu arbeiten?

Warum kommen Menschen aus Rumänien immer noch zum Arbeiten nach Westeuropa, obwohl es gemeinhin bekannt ist, dass die Bedingungen schrecklich sind? Im August starb ein 61-Jähriger Feldarbeiter in Spanien, der Mann bekam keine medizinische Versorgung — kein Einzelfall, wie ich Ihnen aus meiner internationalen Kooperation vorab berichten kann.

Der Grund ist das Geld. Länder wie Deutschland haben Ausnahmeregelungen zu den Sozialversicherungen, wenn es um Erntehelfer:innen / temporäre Arbeitskräfte aus Drittstaaten geht. Und Ausbeutung gibt es auch in Rumänien — nur ist die Gewalt hier das Geld nicht wert, erzählt mein Interviewpartner.

Die kommenden Tage werde ich versuchen, respektvoll und doch deutlich zu diesem Thema zu berichten.

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