Tag 2: Zurück in die Zukunft
Mein heutiger Recherchetag beginnt an der Vilnius Tech Universität im nördlichen Teil der Stadt. Der Campus dort ist ein wilder Mix aus Alt und Neu: Das futuristische, gläserne Administrations-Gebäude ist von massiven Blöcken aus Stein umgeben, die noch aus Sowjet-Zeiten stammen. Hier treffe ich mich mit den beiden Professor:innen Antanas Čenys und Simona Ramanauskaitė und spreche mit ihnen über Litauens Pläne, ein Vorzeigeland in Sachen Künstlicher Intelligenz zu werden, und welchen Stellenwert KI-Tools in der Gesellschaft und speziell unter jungen Leuten einnehmen.
Der Campus der Vilnius Tech Universität: Hier trifft Vergangenheit auf Zukunft
Warum war gerade Litauen unter den ersten Ländern in Europa, welche eine nationale KI-Strategie entwickelt haben?, frage ich sie. Litauen wollte mit einer klaren Vision vorangehen, als kleines Land konnte man sich außerdem schnell auf eine gemeinsame Linie einigen – und man wollte schneller als Estland sein, fügt Čenys mit einem Augenzwinkern hinzu. Dass Litauen die Wichtigkeit von Künstlicher Intelligenz und die Notwendigkeit, einen Umgang damit zu finden, erkannt hat, ist aber nur der erste Schritt – nun braucht es auch die Menschen, Unternehmen und öffentlichen Institutionen, die diese Strategie in die Praxis umsetzen.
Ein zentraler Punkt sei, die litauische Sprache in den KI-Modellen zu verankern. Als kleines Land mit nur rund 3 Millionen Einwohner:innen sei Litauisch lange vernachlässigt worden, ChatGPT etwa mache heute noch viele Fehler. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch über Medienkompetenz und was Schulen und Universitäten unternehmen, um jungen Menschen einen verantwortungsvollen Umgang mit KI näherzubringen. Denn nicht zuletzt gibt es viele Falschinformationen und Fakes, die mithilfe von KI erstellt und in Umlauf gebracht werden. Dem Thema der Desinformation durch KI-generierte Inhalte werde ich mich bei meinen morgigen Interviews nochmals näher widmen.
Verfechter und Gegner
Wie unterschiedlich junge Menschen die KI sehen und nutzen, zeigen meine weiteren Gespräche. Zuerst rede ich mit dem 22-jährigen Emilis. Er studiert seit Anfang September „Management of Artificial Intelligence Solutions“ im Master an der Vilnius Tech. Ein Leben ohne KI ist für ihn nicht mehr vorstellbar, er verwendet diverse KI-Tools für die Universität, die Arbeit und sogar zum Kochen. Insbesondere die guten beruflichen Aussichten seien für ihn eine große Motivation gewesen, sich auf KI zu spezialisieren. Trotz aller Vorteile und Möglichkeiten, welche die KI eröffnet, sieht Emilis aber auch Gefahren, etwa, dass sich viele seiner Mitstudierenden viel zu sehr auf die KI verlassen und nicht mehr selbst nachdenken.
Während Student Emilis ein großer Fan diverser KI-Anwendungen ist, …
Das komplette Gegenteil von Emilis ist wohl der 17-jährige Schüler Artiom. Er sieht KI-Tools wie ChatGPT sehr kritisch, vor allem seit vor einigen Wochen ein Fall aus den USA bekannt wurde, wie der Chatbot einem Jugendlichen beim Suizid geholfen haben soll. Auf Social Media bekommt Artiom immer wieder ungewollt Deep Fakes und verstörende Inhalte angezeigt, welche von der KI generiert wurden. Zwar sieht auch er die positiven Seiten, die Risiken für das kritische Denken und die psychische Gesundheit von Jugendlichen überwiegen für ihn jedoch.
… sieht Schüler Artiom den Einfluss von KI auf Jugendliche kritisch.
Song-Contest und Basketball
In seiner Freizeit ist Artiom gerne künstlerisch aktiv und macht unter anderem eigene Musik. Über seinen Künstlernamen „Jay“ kommen wir auf JJ und den Eurovision Song Contest zu sprechen. Artiom weiß gefühlt alles über den Song Contest – auch, wer die österreichischen Acts der vergangenen Jahre waren und wie gut die Beiträge abgeschnitten haben. „Der Eurovision Song Contest ist in Litauen mindestens genauso beliebt wie Basketball“, erzählt er mir. Das muss etwas heißen, schließlich ist Basketball der Nationalsport in Litauen.
Apropos Basketball: Derzeit finden die Europameisterschaften der Männer statt, Litauen hat sich bis ins Viertelfinale gekämpft. Heute Abend trifft das Team auf Griechenland, für mich geht es deshalb gleich zum Public Viewing, um mir das Spiel anzusehen und die Stimmung dort aufzusaugen. Ganz unparteiisch hoffe ich natürlich auf einen Sieg für Litauen 😉