Tag 5: Um Autokraten herauszufordern, muss man den Menschen zuhören

Es ist unser letzter Abend, wir sitzen gerade in einem kleinen indischen Lokal mit Fenster zur Straße, als Simons Handy vibriert. Eine Nachricht.

Simon: “Das ist Arsan! Er hat mir die Videos und Fotos von den Protesten geschickt, die er uns versprochen hat.”

Alena: “Du meinst, als er bei einer Demo von der Polizei so heftig auf den Kopf geschlagen wurde, dass er ins Krankenhaus musste?”

Simon: “Acht Stiche hat er bekommen, einen halben Liter Blut verloren. Und er macht noch Witze darüber: ‘Zum Glück ist mein Handy nicht kaputtgegangen, einen kaputten Kopf hatte ich ja schon’.

Das Lachen bleibt uns im Hals stecken, als wir die Bilder sehen. Jemand hat sie noch auf der Demo gemacht – die Student*innen nutzen ihre Smartphones nicht nur, um sich zu vernetzen, sondern auch, um alles zu dokumentieren, Beweise festzuhalten. Zwei Freunde halten ihn aufrecht, er kann kaum stehen, Blut rinnt ihm am Kopf hinab. Wir kennen solche Geschichten: Der Bericht über eine junge Frau, der im Februar von SNS-nahen Schlägertrupps mit einem Baseballschläger das Kiefer gebrochen wurde, ist hier längst Teil des kollektiven Gedächtnis.

Wir spazieren hinunter ans Donauufer. Die Straßen sind voller Menschen, die in den Bars feiern, tanzen, lachen. Eine junge Gruppe steht rauchend auf einem Balkon, durch die großen Fenster kann man die Party hören. Nachdem wir fünf Tage lang mit Protestierenden, Studierenden und Journalist*innen sprachen, über die Proteste, über Faschismus, Kriegsverbrechen und Nationalismus, kommt es uns ein wenig vor wie eine andere Welt – was natürlich Blödsinn ist. Faschismus, Revolution, Polizeigewalt, für die Menschen geht das Leben weiter. Studierende erzählten uns nicht nur von ihrem Aktivismus, sondern auch von Prüfungen, für die sie gerade lernen. Sie stellten uns ihre Freund*innen vorg und sprachen von ihren Träumen für die Zukunft. Wir erinnern uns an ein Gespräch mit der Journalistin Sofija Popović.

Alena: “Was sollten österreichische oder deutsche Medien deiner Meinung nach anders machen in der Berichterstattung über Serbien?”

Sofija Popović: “Westliche Medien schauen immer erst auf den Balkan, wenn es Gewalt gibt, Aufruhr, Konflikte oder sogar Krieg. Ich würde mir wünschen, dass auch das tägliche Leben mehr Aufmerksamkeit bekommt. Wenn man erzählt, wie schwierig es die Korruption jungen Menschen macht, einen Job oder eine Wohnung zu finden, wenn man darüber spricht, warum so viele nach dem Studium das Land verlassen – dann wirkt man auch dem Bild entgegen, das Vučić der EU gerne präsentiert. Als der Stabilisator der Region oder als jemand, der die Wirtschaft des Landes rettet.

Um Autokraten herauszufordern, muss man mutig sein. Man muss sich Themen stellen, die manchmal unangenehm sind: Nationalismus, Kriegsverbrechen. Man muss die Anstrengung auf sich nehmen, diese Dialoge zu führen, immer und immer wieder, und Gleichzeitigkeiten aushalten. Vor allem aber muss man den Menschen zuhören.

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