Wie ein Journalist die Lage in Lettland sieht
Wie informiert man eine Gesellschaft, in der über ein Drittel der Bevölkerung Russisch als Muttersprache spricht – und das direkt an der Grenze zu Russland? Lettland steht vor dieser Frage wie kaum ein anderes EU-Land. Mit dem schrittweisen Rückzug des öffentlichen Rundfunks aus der russischen Sprache besteht die Angst, dass mehr Propaganda unter die Leute kommt.
Toms Putniņš ist Chefredakteur bei Latvijas Radio 5 - einem Radiosender für junge Letten. Er beobachtet die Entwicklung aus nächster Nähe. „Ich finde es sinnvoll, dass sich der öffentliche Rundfunk stärker auf digitale Plattformen konzentriert. Dort sind die Reichweiten in russischer Sprache heute schon enorm“, sagt er im Gespräch. Zwar werde die Abschaltung der linearen russischen Radioprogramme ein Einschnitt sein, „aber wer wirklich Informationen sucht, wird sie online weiterhin finden“.
Toms Putniņš ist Chefredakteur bei Latvijas Radio 5
Die Entscheidung ist politisch brisant. Kritiker warnen, dass der Rückzug von russischsprachigen Nachrichten aus dem analogen Rundfunk vor allem ältere russischsprachige Menschen in die Arme russischer Propaganda treiben könnte. Toms teilt diese Sorge nur bedingt: „Das Risiko besteht, aber ich hoffe, dass es für fremdsprachige Inhalte genug Kapazitäten gibt, um attraktiven digitalen Content zu liefern.“ (Zur Erklärung: Der öffentliche Radio- und TV-Sender wurden zusammengefasst. Es kommt zu Neustrukturierungen.)
Gerade junge Menschen vertrauen laut Toms dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr als kommerziellen Plattformen. „Das Problem liegt eher bei der Desinformation, die in sozialen Netzwerken zirkuliert – TikTok, Instagram & Co.“, sagt er. Trotzdem glaubt er nicht an das Ende klassischer Medienformate: „Radio hat für viele junge Menschen heute denselben Retro-Charme wie Vinylplatten.“
In Lettland hängt die Arbeitssituation für Journalist:innen stark vom Themenbereich ab. Toms, der selbst im Kultur- und Musikressort tätig ist, beschreibt seine Arbeit als weitgehend unbedenklich: Politische Repression oder staatliche Einschränkungen spürt er nicht, und er müsse nicht befürchten, wegen seiner Berichterstattung persönlich angegriffen zu werden. Ganz anders sei es jedoch für Kolleg:innen, die über die russische Invasion in der Ukraine berichten. Diese würden, so Toms, regelmäßig in sozialen Medien belästigt und öffentlich angefeindet.