Deutschland, Tag 2: Überdruck und Bass

von Johannes Arends

Es liegt Spannung in der Luft, hier am Marinestützpunkt Kiel. Das merkt man schon bei der Ankunft am Hafentor. “Hat der junge Mann eine Genehmigung, Fotos zu machen?”, fragt ein Wachmann forsch. Er ist höchstens so alt wie ich.

“Ja klar, der gehört zu mir”, sagt mein Begleiter. Doch der Wachmann bleibt hartnäckig: “Und Sie sind?” - “Ich bin der Kommandant der ‘Dillingen’.”

Seinen Dienstausweis muss mein Begleiter trotzdem zeigen, dann erst werden wir hineingelassen. “Eine gute Wache”, sagt er grinsend. “Genau so muss das sein.”

Die “Dillingen” ist eines der großen Minenjagdboote, die hier in Kiel vor Anker liegen. Wie der Name schon sagt, dienen sie eigentlich dazu, Unterwasserminen aufzuspüren und zu zerstören. Von denen gibt es in der Ostsee immerhin noch rund 1,5 Milliarden (!) Tonnen an “Restbeständen” aus beiden Weltkriegen. Doch heute, wo russische Schiffe und Drohnen fast täglich hybride Angriffe durchführen, nutzt man die Minenjagdboote dazu, kritische Meeres-Infrastruktur wie Pipelines und Internetkabel zu bewachen. Mit ihrer Ausrüstung sind sie perfekt dafür geeignet - und so eines der wichtigsten Schutzwerkzeuge der NATO.

Kurz darauf stehen wir plötzlich Brust an Brust. “Hier wird es manchmal kuschelig”, sagt der Kommandant, als er die schwere Stahltür hinter uns schließt. Schott nennt man die im Fachjargon. Von dem hat der Mann, dessen Namen ich aus Sicherheitsgründen nicht nennen darf, noch mehr auf Lager. Zum Beispiel: “An Bord braucht es absolute Schleusendisziplin.”

Gemeint ist, dass die Luft im Inneren des Schiffes niemals direkt in Kontakt mit der Außenluft kommen kann. Warum, das wird deutlich, als der Kommandant das zweite Schott auf der anderen Seite des winzigen Raumes öffnet - und meine Ohren sich plötzlich verschließen. “Im Schiffsrumpf muss immer Überdruck herrschen”, erklärt er mir. Damit können giftige Stoffe, etwa bei Gasangriffen, selbst durch Löcher und Schlitze nicht ins Innere gelangen.

Es ist nur einer von vielen Momenten am heutigen Tag, an dem mir klar wird, dass ich wirklich keine Ahnung von der Schifffahrt habe. In den wenigen Stunden, die ich an Bord des Minenjagdboots “Dillingen” verbringen darf, erschließt sich mir eine völlig neue Welt. Eine Welt höchster Disziplin; anders würde die 40-köpfige Besatzung keine fünf Monate lange Mission auf See überstehen. Die Details spare ich für meine Reportage auf.

Ein weiteres Schauspiel an Disziplin erlebe ich bei der anschließenden Verabschiedung eines erfahrenen Marineoffiziers in den Ruhestand. Alle ranghohen Mitglieder des Marinestützpunktes stehen für ihn Spalier, sie salutieren, als der Mann mit feuchten Augen an ihnen vorbeischreitet. Kurz vor dem schwarzen Wagen, der bereit steht, um ihn ein letztes Mal nach Hause zu fahren, dreht er sich um und ruft: “Ich wünsche Ihnen allen Gesundheit und Zufriedenheit. Passen Sie auf unsere Flottille auf!”

Danach bekomme ich die Gelegenheit, mit Flottillenadmiral Christian Walter Meyer zu sprechen, dem ranghöchsten Marine- und NATO-Offizier in Kiel. Was vielleicht noch beeindruckender ist: Der Mann spricht mit der tiefsten Stimme, die ich je vernommen habe. Auf meine Frage, ob die Bedrohungslage in der Ostsee ihn manchmal abends wach hält, antwortet er in selbstbewusstem Bass: “Nein.” Mehr dazu im fertigen Text.

Kiels Jugend blickt der Aufrüstung übrigens äußerst entgegen. Das erzählen mir zumindest einige Studierende bei einem Fischbrötchen (vegan!) am Hafen. Dass es angesichts der zunehmenden russischen Provokationen mehr Geld für Deutschlands Militär und Marine gibt, finden fast alle gut, mit denen ich spreche. Für eine der beiden Sparten zu arbeiten, kann sich aber doch niemand vorstellen.

P.S.: Morgen geht es um 7:40 Uhr für mich mit dem Zug nach Berlin - wenn er denn kommt. Wünscht mir Glück!

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