Deutschland, Tag 3: Schlafmangel und Stress

Sonnenaufgang in Kiel. Leider musste ich da tatsächlich raus.

Von Johannes Arends

Es gibt ja Menschen, die sollen das gemütlich finden. Dieses Gefühl, wenn man weiß, dass man vor allen anderen wach ist; dass man aktiv ist, fleißig ist, während der Großteil der Gesellschaft noch schläft. Ich finde es bedrückend.

Als mein Wecker mich am Mittwoch um 6:00 Uhr aus dem Schlaf reißt, ist es in Kiel noch finster. Kein einziger Sonnenstrahl lugt hinter der schwarzen Ostsee hervor, als ich deprimiert in die Dusche steige. Erst, als ich mit vollbepackten Koffern mein Zimmer verlasse, taucht die Sonne den Himmel in ein tiefes Orange. Schön ist es ja. Aber auch windig und verregnet. Die Wetter-App zeigt drei Grad.

Wie ein Bergsteiger am Himalaya trotze ich den lebensfeindlichen Bedingungen und kämpfe mich entlang der Hafenlinie zum Bahnhof. Ständig begleitet von der Angst vor einem neuerlichen Zugausfall (Fans erinnern sich). Doch die launenhafte deutsche Bahn, sie hält an diesem Tag ihr Versprechen. Um 7:30 Uhr sitze ich im Zug nach Berlin. Um 7:40 Uhr fährt er tatsächlich ab.

Ich habe diesmal sogar ein Ticket in der Ersten Klasse gebucht, um die vierstündige Fahrt möglichst effizient zum Arbeiten nutzen zu können. Doch dann die Durchsage: Das W-Lan an Bord ist ausgefallen. Keine Pointe.

Erste Klasse im ICE. Gemütlich, ja - aber zum Arbeiten musste mein Datenvolumen herhalten.

Nach meiner Ankunft in Berlin bleibt mir kaum Zeit, es geht direkt weiter zum Karrierecenter der deutschen Bundeswehr. Dort hat man mir ursprünglich einen Termin um 12:00 Uhr angeboten, erst nach Folgeverhandlungen konnten wir uns auf 12:30 Uhr einigen. Selbst dafür war ein Sprint durch Berlin-Mitte notwendig - vorbei an all den beeindruckenden Gebäuden, von denen ich im Stress kein Foto machen konnte. Aber das Kanzleramt ist beeindruckend, ich hab’s gesehen, ich schwör’s!

Gegenüber vom Bahnhof Friedrichstraße betrete ich das Karrierecenter - einen mittelgroßen Raum im Erdgeschoss, dekoriert mit Fotos und Flyern, auf denen die vielen, unterschiedlichen Betätigungsfelder der Bundeswehr zu sehen sind. Hier arbeiten also diejenigen, die versuchen, junge Menschen von einer Karriere beim Militär zu überzeugen. Auch am Mittwoch sind einige Interessenten da, ein Karriereberater zeigt ihnen gerade auf, welche Lehrberufe sie im Rahmen ihrer Soldatenausbildung nebenbei erlernen könnten.

Das ist alles gut aufgezogen, auch die aufwendig produzierten Social-Media-Videos, die in Dauerschleife auf Bildschirmen zu sehen sind. Und doch komme ich nicht umhin, das Design des Karrierecenters gerade hier, im hippen Berlin, irgendwie… unsexy zu finden.

Oberstleutnant Wolfgang Grenzer leitet das Bundeswehr-Karrierecenter in Berlin-Mitte.

Trotzdem bewerben sich aktuell von Jahr zu Jahr mehr Menschen bei der Bundeswehr, wie mir der zuständige Dezernatsleiter, Oberstleutnant Wolfgang Grenzer, im Interview bestätigt. Das liegt auch daran, dass durch die massive Erhöhung des Verteidigungsbudgets der Bedarf an motivierten, jungen Menschen so groß ist wie selten: 260.000 Soldatinnen und Soldaten will Deutschland bis 2035 im aktiven Dienst haben.

Damit das gelingt, will die Bundeswehr auch an ihrem Ruf arbeiten. “Wir haben die Art, wie wir kommunizieren, verändert”, sagt Grenzer - und erklärt dann, dass die Karriereberater angewiesen sind, mit Interessenten auch ausführlich über die Risiken als Soldatin oder Soldat zu sprechen. “Das müssen ehrliche Gespräche auf Augenhöhe sein”, so Grenzer, “und keine Top-Gun-Beratung.”

Meine bisherigen Gespräche mit Jugendlichen in Kiel lassen mich erahnen, dass viele für sich den Dienst an der Waffe trotzdem ausschließen. Was die Debatte um eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht, die in Deutschland gerade in vollem Gange ist, zusätzlich anheizt. Morgen werde ich bei jungen Berliner*innen nachfragen, was sie darüber denken.

Für heute ist erst einmal Feierabend - nach dem Termin im Karrierecenter musste ich schließlich noch eine gute Stunde vor dem Tor meines Hotels warten. Die Eingangstür (mit elektronischem Nummernschloss) war defekt. Ganz ohne Panne wäre es ja schließlich langeweilig geworden!

P.S.: Um kurz vor zehn sind mir im Hotelzimmer einfach die Augen zugefallen. Beim Champions-League-Schauen. Daher kam der Blogeintrag erst heute - sorry. :(

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