Finnland Tag 5: Be good, and if you can't be good, be careful!

Heute früh werde ich ein letztes Mal mit dem Militärtransporter abgeholt. Zuerst will ich wissen, wie es den Frauen ergangen ist, die die Nacht im Zelt verbracht haben. Ich komme ins Gespräch mit einer Teilnehmerin, die zuvor ein paar Jahre in Wien gelebt hat. Sie sagt, in Mitteleuropa fühle man sich oft abgeschottet, geschützt von Bergen, sicher in der eigenen Wohnung, weit weg von Krieg und Katastrophen. In Finnland dagegen sei es selbstverständlich, Fähigkeiten zu erlernen und vorbereitet zu sein für den Ernstfall – besonders mit Russland als Nachbar.

In der Kantine esse ich mit Suvi Aksela, die mich als Presseverantwortliche seit gestern begleitet, einen mit Beeren gefüllten Donut mit Puderzucker. Preis: 50 Cent, ein Schnäppchen, besonders in Finnland. Im Gespräch mit Suvi wird noch einmal deutlich, wie selbstverständlich freiwilliges Engagement hier ist. Viele der Helferinnen im Camp arbeiten ehrenamtlich, selbst jene, die Donuts, Deo oder Militärpatches an Wehrdienstleistende im Bistro verkaufen. Politische Einstellungen spielen dabei keine Rolle, entscheidend ist der Wille, etwas für Finnland zu tun. Hier erlebe ich, dass der Einsatz fürs Land quer durch alle Hintergründe und Überzeugungen geht - in Österreich und Deutschland kaum vorstellbar.

Auf der Rückfahrt zum Hotel unterhalte ich mich mit meiner Fahrerin Sarah, die ein wenig Deutsch spricht. Sie erzählt, dass sie einmal in einem finnischen „Oktoberfest“-Restaurant gearbeitet und im Dirndl 4 Liter Biertürme serviert hat. Heute hat sie eine militärische Karriere hinter sich, arbeitet aber an diesem Wochenende ehrenamtlich im Camp als Fahrerin. Ihr Titel spielt hier keine Rolle, sie leistet einfach ihren Beitrag. Ein wenig skeptisch sei sie zunächst gewesen, dass Zivilistinnen, viele davon in ihren 50ern, auf der Militärbasis in Camokleidung marschieren, ihre Haare lose zusammengebunden, kichernd Übungen absolvieren. Auch wenn es mit einem harten, strikten Militärtraining nicht vergleichbar ist, meint sie, sei es dennoch lobenswert, dass die Frauen das Camp absolvieren.

Ich erfahre außerdem die Ergebnisse der Camp-Befragung: 147 Teilnehmerinnen gibt es an den drei Kurs-Tagen, 121 von ihnen haben den Onlinefragebogen ausgefüllt. Rund 70 Prozent sind zwischen 40 und 60 Jahre alt. 37,8 Prozent nehmen zum ersten Mal teil, 43,7 Prozent waren schon ein- bis fünfmal bei einem NASTA-Training dabei. Suvi erklärt mir, dass die durchschnittliche Teilnehmerin in ihren 50ern ist und mindestens einen Hochschulabschluss hat. Ich verabschiede mich herzlich von den Frauen. Es ist spürbar, dass auch Spaß eine große Rolle spielt sowie Zusammenhalt und Sinn für Humor. „Humor macht alles ein wenig besser“, sagt mir die Übungsleiterin dieses Camps, Eija Eriksson.

Am Abend sitze ich am Fluss, schaue aufs Wasser und lasse die Reise Revue passieren: die Begegnungen mit den Sámi im Norden, die erklären, warum Wehrdienst für sie keine Selbstverständlichkeit ist. Da auch Sámi in Russland leben, ist die Vorstellung, gegen sie kämpfen zu müssen, unerträglich. Der Gegensatz zu den Finninnen ohne Sámi-Hintergrund, für die Einsatz fürs Land selbstverständlich ist, könnte größer kaum sein.

Ich fahre mit dem Gefühl nach Hause, dass die Finn:innen mein Bild von Patriotismus und Vaterlandsliebe verändert hat. Am deutlichsten bleibt für mich die Bereitschaft vieler Menschen, Verantwortung zu übernehmen, ob durch militärische Ausbildung, ehrenamtliches Engagement oder durch das Weitergeben praktischer Fähigkeiten. Es beeindruckt mich, wie Frauen hier lernen, Zelte aufzubauen, Erste Hilfe zu leisten, sich mental auf Notfälle vorzubereiten und Wissen ihr teilen. Auch wenn kein Krieg kommt:, auf Naturkatastrophen, Blackouts, Krisen, vorbereitet zu sein, schadet nicht.

Jetzt freue ich mich darauf, in Wien aus all dem eine Videoreportage für den STANDARD zu machen.

Kiitos, Suomi. Und um es in den Worten von Eija Eriksson zu sagen, die ihren Kolleginnen und den Teilnehmerinnen regelmäßig zur Verabschiedung zuruft: Be good, and if you can’t be good, be careful!

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