Tag 2: “Alle sagen ich soll gehen - Aber ich bin stur und bleibe”

Ich schlürfe meinem Früchtetee und esse das letzte Stück meines Nutellapancakes. Heute werde ich mein erstes, und vermutlich auch wichtigstes Interview führen. Dementsprechend bin ich ein bisschen nervös. Vor allem weil mir meine Interviewpartnerin Eni noch keine Adresse geschickt hat. Wir werden uns in ihrem Büro bei "EcoAlbania" treffen. Sie plant in Albanien zu bleiben und nicht wie viele junge Leute auszuwandern. Außerdem arbeitet sie für die NGO „EcoAlbania“, die sich für den Erhalt des Wildflusses Vjosa in Albanien einsetzt. In der Vergangenheit und auch heute noch wird der Vjosa und seine Umgebung durch wirtschaftliche Interessen bedroht. Ich möchte herausfinden, warum Eni hierbleiben will und ob ihr Engagement für die Umwelt einer der Gründe ist. Mittlerweile hat sie mir die Adresse geschickt. Ich soll ihr schreiben, wenn ich da bin, weil der Eingang durch die Baustelle vor der Tür nicht leicht zu finden ist. Ich trinke meinen Tee aus, gehe noch einmal meine Interviewfragen durch und dann mache ich mich auf den Weg zu ihr.

Das erste Mal sehe ich sie, mitten auf der Straße stehend mit suchendem Blick, zwischen Obst- und Gemüseständen. Ich winke ihr zu und sie begrüßt mich mit zwei Küsschen auf die Wangen. Mit ihrem Pipi -Langstrumpf-artigen Aussehen ist sie mir sofort sympathisch. Sie hat orangerotes Haar, das zu zwei Zöpfen geflochten ist und zu den Seiten absteht, trägt viel Eyeliner um ihre grünblauen Augen herum und hat aufgemalte Sommersprossen auf ihren Rouge besetzten Wangen. Zusammen gehen wir hinauf in ihr Büro. Dort stehen überall Umzugskartons und es ist unglaublich warm. Außerdem ist es kein typisches Büro, sondern ein Apartment, dass zu einem Büro umfunktioniert wurde. In einigen Wochen wird die NGO umziehen, der Chef will das Apartment wieder zum Wohnen nutzen.

Eni und ich reden eineinhalb Stunden miteinander. Durch sie kann ich einen viel besseren Eindruck von Albanien und dem Leben hier gewinnen. Ihre Familie, Freunde und ihr Freund sagen ihr sie soll Albanien verlassen, woanders hätte sie besser Chancen, ein besseres Gehalt. Sie alle sind aber auch der Hauptgrund warum sie bleiben will. Sie würde Albanien nur verlassen, wenn sie wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft hätte. Zu denen zählt sie auch in einer ganz anderen Branche, als Biologie und Umwelt zu arbeiten.

Neben ihrem sozialen Umfeld spielen auch die albanische Kultur und Hoffnung eine Rolle. Eni war schon öfter im Ausland in Summerschools, auf Arbeitsreisen und im Urlaub. Nie hat sie dort die lockere, gesellige Art wie die Albaner:innen untereinander umgehen erlebt. Außerdem hofft sie auf Veränderung, wie fast alle Menschen ihrer Generation. Sie glaubt, dass es einen Leader braucht, jemanden der die Veränderung in Gang setzt. Bis jetzt würde sich nur jeder über die Situation beschweren, aber keiner wirklich aktiv etwas dagegen tun, sie eingeschlossen.

Sie erzählt mir noch viel mehr, aber das hebe ich mir für meine Reportage auf. Nach einem kurzen, aber herzlichen Abschied, mache ich mich auf die Suche nach meinem Mittagessen. Dabei werde ich vom Gebetsruf der naheliegenden Moschee begleitet.

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Kroatien, Tag 3: Nicht pessimistisch, nur realistisch