Kroatien, Tag 5: Kroatiens junge Generation sucht ihren Platz
Toni Popović, Dozent am Institut für Soziologie, zeigt mir die Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Split und gibt mir spannende Einblicke in die Themen, die Kroatiens Jugend beschäftigen. Er erzählt mir vom Phänomen der „erweiterten Jugend“: „Die Altersgrenze für diese Kategorie hat sich aufgrund der Unfähigkeit, finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen, ein eigenes Zuhause zu kaufen und eine Familie zu gründen, auf 35 Jahre verschoben.“
Toni Popović spricht auch über die negativen Folgen des Massentourismus und dessen schwache Regulierung.
Der Arbeitsmarkt bietet oft nur befristete oder saisonale Jobs, die Lebenshaltungskosten steigen, und die Wohnungspreise sind für Einsteiger schlicht unbezahlbar. So entsteht ein Gefühl des Stillstands, eine Biographie im Wartestand. Popović sieht darin nicht nur ein ökonomisches, sondern ein zutiefst gesellschaftliches Problem: Ein Land, das seiner Jugend keine Möglichkeit gibt, Verantwortung zu übernehmen, riskiert, sie dauerhaft zu verlieren.
Während viele junge Kroaten aufbrechen, um anderswo Perspektiven zu finden, zieht das Land gleichzeitig eine andere Gruppe junger Menschen an: digitale Nomaden. Sie schätzen EU-Standards, Sicherheit, eine gute Infrastruktur und das angenehme Klima. Split, Zadar oder Dubrovnik sind längst Hotspots für Remote Worker. Laut dem Soziologen werden auch ländliche Regionen mit guter Anbindung beliebter, „wegen der unberührten Natur, Ruhe, Freiheit, Authentizität kleiner Gemeinschaften und der lokalen Gastronomie”. Seit dem Ausländergesetz von 2020 können digitale Nomaden mit ihren Familien für bis zu ein Jahr in Kroatien bleiben und die Gesundheitsversorgung nutzen.
Svea Kugel, ein sehr zufriedener Digital Nomad in Split.
Svea Kugel etwa, mit der ich gesprochen habe, liebt das Leben als Digital Nomad hier. Die gebürtige Deutsche kam vor zwei Jahren nach Split, nachdem sie in Österreich studiert und gearbeitet hatte. „Eines Tages dachte ich mir: Hier ist es mir zu grau und zu dunkel, ich will weg.“ Die 28-Jährige überlegte, wohin sie gehen könnte: „Vielleicht nach Italien, Spanien oder Kroatien? Da ich halb Slowakin bin, werde ich Kroatisch schnell lernen, und das Land hat mir schon immer gefallen.“
Zunächst unterrichtete sie an der International School Deutsch und Psychologie. „Dann habe ich mich vor dem Sommer entschieden, freier sein zu wollen, und habe mein eigenes Gewerbe eröffnet.“ Seither gibt sie Online-Unterricht und arbeitet dafür mit acht verschiedenen Schulen zusammen, „überall auf der Welt verteilt.” So sei ihr Stundenplan recht interessant: “Manchmal arbeite ich früh morgens um sechs, dann wieder spätabends um neun, weil ich eben in verschiedenen Zeitzonen arbeite. Aber das zahlt sich alles aus.“ Denn: „Ich lebe 50 Meter vom Meer entfernt, habe ein wunderschönes Leben, keinen Stress. Die Menschen sind sehr sozial und sehr offen. Ja, und das Wetter ist einfach super.“ Hier leben sehr viele Digital Nomads, erzählt sie, und sie seien gut vernetzt. Sie habe aber auch lokale Kontakte geknüpft: „Es hilft, die Sprache ein bisschen zu sprechen.“ Svea ist jedenfalls „super happy hier“ und plant nicht, in naher Zukunft nach Deutschland oder Österreich zurückzugehen.
Aber zurück zu Toni Popović. Er sieht im, nennen wir es digitales Nomadentum, Chancen und Risiken zugleich. Einerseits bringt das Phänomen frischen Wind, andererseits bleibt der Effekt oberflächlich: WLAN und Meerblick allein schaffen keine nachhaltige Entwicklung. Wenn ländliche Regionen profitieren sollen, braucht es Strukturen, die auch den jungen Einheimischen Perspektiven geben: Bildung, kreative Arbeitsräume, stabile Jobs und das Gefühl, dass sich Engagement lohnt.
Die Politik müsse die Jugend stärker einbinden und generell auf die Stimmen vor Ort hören. Denn der Massentourismus und seine schwache Regulierung bedrohen längst die lokale Identität („Touristifizierung“). Die Folge ist eine stille Erosion: Während digitale Nomaden Kroatien als neues Paradies entdecken, packen junge Kroaten ihre Koffer. Damit sie bleiben wollen, braucht es nachhaltige Strategien, die Transparenz, Beteiligung und echte Karrierechancen jenseits des Tourismus schaffen. Doch statt Lösungen hört man bisweilen nur Zynismus, kritisiert der Soziologe, etwa von Politikern, die sagen: „Wenn es euch in Kroatien nicht gefällt, könnt ihr ja gehen.“