Last day(s) in Madrid: Spanischer Interviewsprint
Inmitten des eleganten Zentrums Madrids, zwischen hellgelben Altbauten mit weißen Wandverzierungen, befindet sich die NGO “Fundación Aspacia”, zu der mich mein vorletzter Interviewtermin am Freitag führte. Nur vier Gehminuten vom Gleichstellungsministerium und der Gran Vía entfernt, traf ich an meinem letzten Arbeitstag die Geschäftsführerin Virginia Gil Portolés. Sie begrüßte mich herzlich in den heimelig eingerichteten Räumlichkeiten. An den Wänden hingen Poster und Bilder mit Aufschriften wie: “Me quiro libre” - “ich möchte frei sein”, oder “Hermana, yo si the creo" - “Schwester, ich glaube dir”.
Virginia Gil Portolés in ihrem Büro
Das Gespräch mit Portolés fand in ihrem ebenfalls mit feministischen und bestärkenden Sprüchen behängten Büro statt und begann mit einer kurzen Vorstellung der spanischen NGO, die sich auf die Bekämpfung häuslicher und insbesondere sexueller Gewalt spezialisiert hat. Die Organisation bietet verschiedene Hilfsangebote für Gewaltopfer und betreibt vier Kriseninterventionszentren in Madrid, die zum Teil auch 24 Stunden lang geöffnet sind. Laut Portolés ist es hier besonders wichtig zu erwähnen, dass das im Jahr 2022 eingeführte „Solo sí es sí“-Gesetz die Etablierung von Krisenzentren für Gewaltopfer in allen 17 Regionen Spaniens vorsieht. Die NGO betreibt also einen Service, der mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Aufgrund dessen sei es auch sehr schwierig, als Presse mit Personal aus den Kriseninterventionszentren zu sprechen, da hierfür viele Autorisierungsschleifen nötig seien.
Zudem organisiert die Fundación Aspacia Schulungen für Fachkräfte, um das Problembewusstsein für Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft zu schärfen und den richtigen Umgang mit Vergewaltigungsfällen zu lehren. Auch Präventionsprojekte, die sich insbesondere an junge Menschen oder Menschen mit Migrationsbiografie richten, sowie Forschungsprojekte sind Teil der Arbeit.
Eingangsbereich der NGO
Während unseres Gesprächs betonte die Geschäftsführerin, dass die Einführung des Gesetzes positive Folgen hatte: Mehr Opfer sexueller Gewalt würden zur Polizei gehen und nach Hilfestellungen suchen. Das zeige sich auch in den Zahlen des Innenministeriums. Denn seit 2017 hat sich die Zahl der gemeldeten sexuellen Straftaten verdoppelt – nicht, weil mehr Frauen vergewaltigt wurden, sondern weil mehr Frauen Anzeige erstatteten. Dieser Anstieg der gemeldeten Fälle stehe in direktem Zusammenhang mit einer veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung nach dem Gruppenvergewaltigungsfall in Pamplona und der Einführung des Gesetzes.
Auch in meinem zweiten Interview mit Marisa Soleto kristallisierte sich schnell heraus, dass sie als Direktorin der spanischen Frauenstiftung „Mujeres Fundación“ ähnliche Erfahrungen und Ansichten teilt.
Nach einem ausführlichen Gespräch mit Portolés machte ich mich auf den Weg zu meinem zweiten Interview des Tages. Glücklicherweise befand sich die Frauenstiftung Mujeres ebenfalls im Zentrum Madrids, sodass ich in nur 23 Minuten zu meinem nächsten Termin spazieren konnte. Ich war zugegebenermaßen etwas aufgeregt, denn mir war per E-Mail mitgeteilt worden, dass das Interview nur auf Spanisch stattfinden könne. Also bereitete ich alle Fragen auf Spanisch vor – ChatGPT, DeepL, Google Übersetzer und Co. sei Dank! – und hoffte, dass ich einiges verstehen würde.
In der Calle San Bernardo angekommen, wurde ich herzlich empfangen und in einen Besprechungsraum im hinteren Teil des Büros gebracht. Dort sprach ich mit Soleto über ihre Einschätzungen und Einstellungen bezüglich „Solo sí es sí”, welche Veränderungen das Gesetz für ihre Organisation brachte und über den tief verankerten Feminismus in der spanischen Gesellschaft. Auch die aktuelle Frauenbewegung, die von vielen jungen Frauen getragen wird, war Thema. Soleto ist der Meinung, dass die jüngeren Generationen genauso politisch sind wie die älteren und sich insbesondere durch „La Manada“ – auch als die spanische „MeToo-Bewegung“ bezeichnet – noch einmal mobilisiert haben.
Kritische Taxi-Stimme und Goodbye Madrid
Nachdem ich am Freitag meinen letzten Eurotours-Arbeitstag hatte, aber erst am Samstag zurück nach Wien flog, nutzte ich den Samstagvormittag, um ein paar Videos zu drehen und ein letztes Mal spanische Köstlichkeiten zu schnabulieren. Mit schwerem Herzen ging es dann am Nachmittag zurück nach Wien. Im Taxi auf dem Weg zum Flughafen Madrid-Barajas unterhielt ich mich ein wenig mit dem Fahrer. Wie der Zufall es wollte, begann er unaufgefordert über die Gewaltschutzgesetze in Spanien zu sprechen. Aufgrund dieser Gesetze würde er „nie eine spanische Frau daten”, da sie die Gesetze ausnutzen und lügen würden. Nun werde ohnehin nur den Frauen geglaubt und Männer kämen sofort ins Gefängnis. Ich ließ mich nicht wirklich auf das Gespräch ein, aber es war auf jeden Fall interessant zu hören, welche falschen Vorstellungen und Ängste bezüglich „Solo sí es sí“ vorherrschen.
Nach fünf vollen Arbeits- und Recherchetagen in Madrid steht mein Fazit fest: Ich bin nach Spanien gereist, um mir ein Best-Practice-Beispiel in Sachen Gewaltschutz anzuschauen. Da der Diskurs zu „Nur ja heißt ja“ aktuell ist, habe ich mich in meiner Recherche darauf fokussiert und damit auch eines der am heftigsten umstrittenen und kontroversesten Gesetze Spaniens gewählt. Es stellte sich als herausfordernd heraus, Gesprächspartner zu finden, die über das Gesetz sprechen wollten. Dennoch erklärten sich einige Menschen bereit, mir ein Interview zu geben. Die meisten hatten ähnliche Meinungen. Die Intention hinter dem Gesetz sei gut, aber die anfängliche Umsetzung problematisch. Zusätzlich brauche es weitaus mehr Geld für die im Gesetz festgeschriebenen Maßnahmen, wie beispielsweise die Weiterbildungsangebote für relevante Berufsgruppen und die verpflichtende Etablierung von Kriseninterventionszentren in allen Regionen Spaniens. Trotzdem können andere europäische Länder von Spanien lernen, denn ein solches Gesetz hat auch zu einem Bewusstseinswandel innerhalb des Landes beigetragen und zu mehr Anzeigen vonseiten der Opfer geführt.
Alle jungen Frauen, mit denen ich gesprochen habe, blicken positiv in die Zukunft und sind der Meinung, dass es keinen Sinn mache, sich zu engagieren, wenn man nicht daran glaubt, dass sich etwas verändern wird. Mit diesen Worten möchte ich auch meinen letzten Blogeintrag beenden. Adiós y hasta luego! Vielleicht hört ihr bald wieder von mir – vielleicht sogar aus Madrid, denn diese Stadt hat es mir angetan!