Madrid, Tag 4: Von Suffragetten und Europas Jugend
Mein vierter Arbeitstag begann recht ruhig in einem Café im hippen Zentrum Madrids. Hier verbrachte ich den gesamten Donnerstagvormittag damit, letzte Interviewanfragen zu checken, Audios zu transkribieren und ein paar erste Videoclips zu schneiden. Auch die freudige Nachricht einer Interviewzusage für Freitagvormittag von Virginia Gil Portolés - Geschäftsführerin der “Aspacia Foundation” - erreichte mich hier. Aspacia Foundation ist eine spanische NGO, die gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen in Spanien vorgeht und in Madrid vier Krisenzentren betreibt, um unmittelbaren Schutz und Hilfe zu leisten. Mir war es wichtig, in meiner Reportage auch eine Stimme zu Wort kommen zu lassen, die weiß, wie sich die reale Situation für Frauen in Not gestaltet und wie vorhandene Hilfestellungen umgesetzt werden. Daher begann ich sofort mit einer kleinen Recherche zur Organisation und der Vorbereitung einiger Fragen.
Me @work in einem Café in Chamberí
Mit Clara Campoamor und Europa-Perspektive
Am Nachmittag ging es für mich weiter zu einem Interviewtermin mit Àngela López Rivas. Sie ist frischgebackene Studienabsolventin des College of Europe und Vertreterin ehemaliger EU-PraktikantInnen. Von ihr wollte ich mehr über Spaniens Gewaltschutzmaßnahmen und insbesondere dessen Sexualstrafrecht aus junger europäischer Perspektive erfahren. Den Treffpunkt hatte Rivas ausgewählt: Passend zum Thema verabredeten wir uns bei der Clara-Campoamor-Statue. Campoamor war Suffragette und eine der wenigen spanischen Politikerinnen der Zweiten Spanischen Republik. Sie spielte eine tragende Rolle bei der Einführung des Frauenwahlrechts in Spanien im Jahr 1931.
Als ich auf dem Platz zwischen den typisch spanischen, schmalen, gelben und roten, eng aneinandergereihten Häusern ankam, war Rivas schon da. Sie stand auf dem sandigen Boden vor der Statue, unserem Treffpunkt, und kam lächelnd auf mich zu. Wir kennen uns flüchtig aus unserer ehemaligen Arbeit im EU-Parlament.
Clara-Campoamor-Statue
Zu Beginn erzählte mir Rivas ein bisschen über Campoar, bevor wir es uns auf den öffentlichen Stühlen am Platz gemütlich machten. Wir unterhielten uns gut eineinhalb Stunden lang und es wurde schnell klar, dass die 24-Jährige viel zu sagen hat: Sie schrieb ihre Masterarbeit über die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und die darin fehlende konsensbasierte Definition sexueller Gewalt. Das „Nur-Ja-heißt Ja“-Prinzip ist nicht Teil der im Jahr 2024 eingeführten Richtlinie. Bezüglich des in Spanien im Jahr 2022 eingeführten „Solo sí es sí“-Gesetzes und dessen Auswirkungen hat die gebürtige Madrileña eine zwiegespaltene Meinung. Sie begrüße die Intention des Gesetzes, dass Sex nur dann als einvernehmlich gilt, wenn die Frau auch zustimmt. Die Umsetzung bezeichne sie jedoch als „zu schnell“ und „wenig durchdacht“, denn als das Gesetz in Kraft trat, war eine der Konsequenzen, dass bereits verurteilte Sexualstraftäter früher aus dem Gefängnis entlassen wurden. Eine Entwicklung, die vor allem den rechten Parteien des Landes in die Hände spielte. Dennoch hat das Gesetz und das Entsetzen über „La Manada“ viel Aufmerksamkeit auf die gesellschaftliche Problematik sexueller Gewalt gegen Frauen gelenkt. Diese Aufmerksamkeit und Präsenz des Themas, insbesondere in der Berichterstattung, ist laut Rivas auch etwas, das andere europäische Länder von Spanien lernen könnten.
An die EU-Politik hat die 24-Jährige insbesondere zwei Forderungen: Die Einbeziehung einer einheitlichen Definition von Vergewaltigungen basierend auf dem Konsensprinzip, und die Sicherstellung, dass alle EU-Länder Daten zu Fällen sexueller Gewalt sammeln.
Am Ende unseres Gesprächs widmeten wir uns der feministischen Bewegung Spaniens und warum sie so stark im Land verankert ist. Als einen der Gründe nannte Rivas, ähnlich wie auch die Stadtführerin Sofía Gómez Ramírez am Mittwoch, die Geschichte Spaniens. Denn nur acht Jahre, nachdem das Frauenwahlrecht eingeführt worden war, kam 1939 in Spanien die Diktatur unter Francisco Franco. Mit Beginn der Diktatur verloren die Spanierinnen so ziemlich alle Rechte, die sie zuvor hart erkämpft hatten. Als die Diktatur in den 1970er Jahren endete, kehrte ein lang ersehntes Freiheitsgefühl zurück – und damit auch der unterdrückte, aber nie ganz verschwundene feministische Kampfgeist.