Tag 1: Unterwegs nach Podlachien
Ich habe mich heute von Krakau mit dem Auto auf den Weg nach Białystok gemacht, Hauptstadt der Woiwodschaft (so werden in Polen die Bundesländer genannt) Podlachien. Beim Blick aus dem Fenster ist die Landschaft anfangs noch von Weite und Feldern geprägt - doch spätestens, seitdem wir an Warschau vorbei sind, weichen diese Eindrücke einem satten Grün. Die Autobahn fühlt sich zunehmend an wie eine Schneise, die sich immer tiefer in einen dichten, unendlichen Wald hineinzugraben scheint. Auf den Spitzen der Laternen, die die Straße säumen, thronen inzwischen Störche, die kaum Notiz den vorbeifahrenden Autos unter ihnen nehmen. Podlachien wird auch das „grüne Herz Polens“ genannt und ich verstehe sofort warum.
Doch die wilde Landschaft schaut nicht nur schön aus, ihre schwer zugängliche Natur, die von Sümpfen, Wäldern und Flüssen geprägt ist, agiert an manchen Stellen sozusagen als natürlicher Puffer, als stiller Verteidigungsgürtel zum Nachbarn Belarus. Wir befinden uns an der NATO-Ostflanke.
Bis 2035 plant die polnische Regierung ihre Streitkräfte auf 300.000 Soldat*innen zu verstärken. Aktuell steht die Zahl bei 216.100. Zuletzt sprach Premierminister Tusk sogar von einer Erhöhung des Ziels auf 500.000 Soldat*innen, außerdem von verpflichtendem Militärtraining für alle polnischen Männer über 18 Jahre.
Doch auf welche Menschen trifft so ein Vorhaben? Wie tickt eine junge Generation, von der erwartet wird eines Tages einmal ihr Land zu verteidigen? Welche persönlichen Motivationen, welcher Patriotismus, welches Mindset herrscht unter den Jungen in Polen vor? Und umgekehrt: Was macht die Politik, um diese Menschen für die Armee zu gewinnen?
Vor dem Hintergrund der europäischen Aufrüstung und der auch in Österreich zuletzt erhöhten Investitionen ins Bundesheer, frage ich mich, was für eine Mentalität eine Bevölkerung eigentlich braucht, um wehrfähig sein zu können. Welche Geschichten erzählen wir uns? Wofür wären wir bereit zu kämpfen?
Im Nordosten Polens, dort wo, aufgrund der geografisch empfindlich gelegenen Suwalki-Lücke, ein erster militärischer Vorstoß Russlands auf NATO-Gebiet am strategisch wahrscheinlichsten wäre, versuche ich Antworten zu finden.
Blick aus dem Hotel Richtung Innenstadt. Hinten sieht man den Wald, der die Stadt umgibt.