Tag 2: Patriotismus in Białystok
Von Białystok hat man hierzulande höchstens mal gehört, als dort 2019 zum ersten Mal eine Pride Parade ausgerichtet wurde, deren rund 800 Teilnehmer*innen jedoch von Gegendemonstranten und gewaltbereiten Hooligans mit Steinen und Böllern attackiert wurden.
Vielleicht kennt man auch Ludwik Lejzer Zamenhof, der hier (damals noch als Teil des Russischen Reichs) aufgewachsen ist und später die Plansprache Esperanto entwickelte.
Ich bin mit Unterstützung hier. Da ich kein Polnisch spreche, hat mein Freund Bartek mir bereits vor der Abreise bei der Kommunikation mit potentiellen Interviewpartner*innen geholfen und wird auch hier vor Ort übersetzen. Anfangs war meine Idee einfach, dass seine Unterstützung gut für den Notfall sein könnte, „good to have“. Doch bereits in der Vorbereitung hat sich gezeigt, dass ich mit Englisch kaum weiterkomme. Bei Emails konnte ich zwar noch mit Übersetzungsprogrammen arbeiten, aber bei Anrufen (die ja in der Regel zielführender sind) war ich komplett auf Bartek angewiesen. Das hat dazu geführt, dass er von einem Übersetzer auch zu einem Partner in der inhaltlichen Arbeit wurde.
Ich wollte im Vorhinein so viele Interview-Termine wie möglich vereinbaren, um unserer Recherchereise eine gewisse Struktur zu geben. Wir verfolgten quasi zwei Linien: einerseits kontaktierten wir verschiedene Einheiten und Institutionen der polnischen Armee, andererseits probierten wir es bei Schulen und verschiedenen örtlichen Organisationen und Vereinen, um einfach mit einer möglichsten Bandbreite an jungen Menschen sprechen zu können. Die erste Frage am Telefon war meistens (etwas irritiert), ob uns eigentlich eh bewusst wäre, dass gerade Urlaubssaison sei.
Ja, es war uns bewusst. Dennoch wollten wir nicht erst im September fahren – und ganz willkürlich ist das Datum auch nicht gewählt: am 1. August wollen wir bei den Gedenkfeierlichkeiten an den Warschauer Aufstand in der Hauptstadt dabei sein. Ein wichtiges Datum, um das historische polnische Selbstverständnis besser begreifen zu können.
Vieles, was wir jetzt vereinbart haben, ist gestern erst während der Autofahrt final zustande gekommen. Ich hätte gern noch viel mehr bereits im Vorhinein fixiert, aber so ist es jetzt nun mal. Es war schwierig.
Über drei Ecken sind wir mit dem örtlichen Leiter einer polnischen Jugendorganisation in Kontakt gekommen. Wir treffen ihn in Białystok in den Räumlichkeiten der Organisation, nicht weit weg von unserem Hotel. Wir sprechen mit dem 30-jährigen über die Einstellungen der jungen Menschen in Podlachien und generell über den Patriotismus in Polen und welche Art von Patriotismus die Organisation bei ihren jungen Mitgliedern zu propagieren versucht. Eigentlich hatte er uns angekündigt, dass wir im Anschluss beim wöchentlichen Treffen der Organisation dabei sein können, um mit den jungen Menschen direkt zu sprechen. Doch er rudert gleich am Anfang zurück, dass ihm das „von oben“ doch nicht erlaubt worden wäre.
Wie auch am Vortag verbringen wir den Abend in der Białystoker Innenstadt. Ein Restaurant reiht sich hier ans nächste. Es ist ein normaler Wochentag und die Gastgärten sind gesteckt voll. In der Mitte des Marktplatzes ist eine gut besuchte Tribüne aufgebaut, die auf einen hell beleuchteten Glas-Kubus blickt, in dem gerade eine Squash-Meisterschaft ausgetragen wird. Es ist Mittwoch – und wie am Abend zuvor fühlt sich die Stadt außerordentlich lebendig an. Und so jung! Überall hängen junge Leute ab.
Wir beschließen die Leute jetzt, ganz klassisch, einfach direkt auf der Straße anzusprechen. Wir werden das auch die nächsten Tage so weiterführen. Ich merke, es sind diese Begegnungen und Gespräche, die mir die meisten Erkenntnisse für meinen Artikel bringen werden.
Innenstadt in Białystok am Nachmittag. Im Hintergrund: Żabka, Polens allgegenwärtige Variante von 7-Eleven.