Tag 1: Was heißt Pendler auf Slowakisch?
Meine Reise beginnt in Wien. Genauer gesagt neben dem Alten AKH. Denn hier ist Adams Büro. Er ist 23 Jahre alt, macht an der Uni Wien seinen Master in Applied Econimics und ist der einzige Slowake, der bei der österreichischen Finanzmarktaufsicht arbeitet. Zumindest hat er noch keinen anderen entdeckt.
Gemeinsam mit ihm mache ich mich auf eine Reise. Den Weg kennt Adam nur zu gut, denn er legt ihn jeden Dienstag, Mittwoch und Donnerstag zurück – und das sowohl hin als auch retour. Als er sein Masterstudium im Herbst 2024 begonnen hat, wollte er vom Haus seiner Eltern in Bratislava nicht ausziehen. Zuvor hatte er vier Jahre in Schottland studiert und findet es schön, jetzt wieder zu Hause zu sein. Den Preis, den er dafür bezahlen muss: Vier Stunden Wegzeit an jedem Arbeits- oder Uni-Tag.
Um kurz nach 14:00 Uhr geht’s los. Die U2 und U1 bringen uns zum Hauptbahnhof Wien. Am Bahnsteig 12 tummeln sich schon Gleichgesinnte samt Rucksäcken und teilweise Koffern, die alle dasselbe Ziel haben, das nicht Bratislava heißt, sondern Sitzplatz. Wir ergattern einen Zweisitzer entgegen der Fahrtrichtung und zum Glück auch einen Waggon mit Klima. Wer danach zusteigt, muss stehen.
Vom Wiener Hauptbahnhof braucht man ca. eine Stunde bis Bratislava-Petržalka.
Die Zugfahrt vergeht wie im Flug, denn Adam ist ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Er erzählt mir von seinem Traumjob, seiner Freizeit und vor allem seiner Entscheidung zu pendeln, statt nach Wien zu ziehen. Näheres dazu in der Herbstausgabe von „Das Biber“.
Wann genau wir die Grenze zur Slowakei überqueren, merke ich gar nicht und hätte mir wohl nur Google Maps verraten. Wir rollen in den Bahnhof Petržalka, der mich vom Aufbau her (im Gegensatz zur Architektur) an den Bahnhof Hütteldorf erinnert. Der Zug kommt dort zu stehen, wo in Hütteldorf die S45 ihre Fahrt beendet hätte. Wir zwängen uns durch eine der beiden engen Türen neben dem Stiegenabgang in die moderne Bahnhofshalle. Bei den entgegenkommenden Reisenden kommt Stress auf, denn wir sind in der Überzahl und die Tür ist echt zu eng für zwei Personen gleichzeitig. Das führt dazu, dass ich Adam kurz verliere, hole ihn dann aber schnell wieder ein.
Mit dem Bus 94 und nach einmal umsteigen zum Bus 83 geht es Richtung Staré Mesto, also Bratislava-Altstadt. Der Bus ist dermaßen voll, dass ich kein brauchbares Foto von der ikonischen Einfahrt ins Zentrum über die Brücke des slowakischen Nationalaufstandes schießen kann. Von hier aus hätte man nämlich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Bratislava auf einen Blick gesehen. Ich werde das in den nächsten Tagen auf jeden Fall nachholen!
Adam und seine Eltern wohnen im Viertel Slavín, das nach dem nicht zu übersehenden, 7 Meter hohen Kriegsdenkmal samt Friedhof für 6.845 sowjetische Soldaten benannt ist. Sie alle sind bei der Befreiung der Slowakei vom Nationalsozialismus ums Leben gekommen.
Inzwischen ist es 16:15 Uhr, also mehr als 2 Stunden später, und Adam verabschiedet sich mit den Worten: „Ich werde mich jetzt eine Stunde hinlegen, denn ich bin sehr müde.“ Diese Ruhe hat er auch wirklich verdient, immerhin ist er von hier aus heute Morgen schon um 6:00 Uhr Richtung Wien gestartet. Ich treffe ihn später wieder.
Der Ausblick über Bratislava vom Denkmal Slavín aus, das sich in meiner Brille spiegelt.
Nach einem kurzen Abstecher zum Denkmal Slavín, von dem aus man übrigens einen tollen Ausblick über die Stadt hat, steige ich die Treppen zwischen den Einfamilienhäusern hinab, die zum Hauptbahnhof führen. Wer aufmerksam gelesen hat, hat bemerkt, dass unser Regionalexpress gar nicht hier angekommen ist, sondern in Bratislava-Petržalka. Grund dafür sind Umbauarbeiten auf der Strecke nach Wien, die eigentlich schon im Dezember 2024 abgeschlossen hätten sein sollen. Kaum zu glauben, aber die beiden am nächsten gelegenen Hauptstädte der EU waren bisher von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof nur per Dieselzug und abschnittsweise eingleisig verbunden. Eine schnellere Verbindung würde gerade das Pendeln attraktiver machen und die „Twin Cities“ näher zusammenbringen.
Von hier aus geht es per Straßenbahn auch für mich endlich in meine Unterkunft. Die Reisetasche hat sich echt schon angehängt und gehört ausgepackt. Kurz darauf gönne ich nebenan mir noch ein typisch slowakisches Abendessen, bevor ich mich mit Adam und seinem ehemaligen Schulfreund Dominik in einer Rooftop-Bar treffe. Wir lassen den Abend bei ein paar Bieren ausklingen und ich bekomme einen Crashkurs in Slowakisch. Doch was heißt jetzt “Pendler” auf Slowakisch? Eigentlich „cezhraničný zamestnanec“, aber die meisten sagen einfach „pendler“.