Tag 3: Innenpolitische Turbulenzen und geopolitische Spannungen
Mein heutiger Blog beginnt leider mit schlechten Nachrichten zum gestrigen Abend: Im Viertelfinalspiel der Basketball-EM war für Litauen gegen Griechenland Endstation. Mehrere tausend Menschen haben beim Public Viewing an der „Weißen Brücke“ gemeinsam mitgefiebert, auch ich war bis zur Halbzeit dabei und konnte einen Eindruck von der Begeisterung der Litauer:innen für den Basketballsport gewinnen. Das Ende des Spiels habe ich schließlich auf dem Fernseher im Hotelzimmer mitverfolgt, mein persönliches TV-Highlight kam jedoch erst danach: ein Spielfilm namens „Einsatz in den Alpen – Der Armbrustkiller“. Der Film beginnt mit einer Motorrad-Verfolgungsjagd auf der Nordkette in Innsbruck inklusive computeranimiertem Steinschlag – es sind wohl die schlechtesten Special Effects, die ich seit Langem gesehen habe. Was mich außerdem zum Schmunzeln bringt: Der Film hat genau einen Synchronsprecher, der in einer monotonen, tiefen Männerstimme alle Charaktere spricht – ja, auch die Teenage-Tochter des Kommissars. Ich bin mehr als überrascht, welch cineastisches Meisterwerk mit Österreich-Bezug ich hier in Vilnius geboten bekomme.
Mehrere tausend Menschen haben sich zum Public Viewing am Ufer der Neris versammelt
Vom Armbrust- zum Kreativitätskiller
Nach diesem aufregenden Abend beginnt der heutige Tag fast ebenso nervenaufreibend. Auf dem Weg zu meinem Interview beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk LRT fährt mir der Bus nämlich direkt vor der Nase weg. Kein Problem, denke ich, der nächste Bus kommt bestimmt in ein paar Minuten. Tja, falsch gedacht – 21 Minuten heißt es auf der Anzeigetafel. An die teils absurd langen Intervalle habe ich mich auch an Tag 3 immer noch nicht gewöhnt. Ich frage die junge Frau neben mir, wie ich alternativ zum LRT komme. Glücklicherweise muss sie in dieselbe Richtung, also kommen wir ins Gespräch. Ich erzähle ihr von meiner Recherche über die Rolle von KI in Litauen. „Ah“, nickt sie sofort wissend, ihr Unternehmen – eine IT-Firma – veranstalte nächste Woche eine Konferenz zum Thema KI in Vilnius. Sie selbst nutze aber nur selten KI-Tools, diese „killen“ die Kreativität.
Auf der Busfahrt zum Interview bekomme ich von Anastasia noch ein paar Restauranttipps und typisch litauische Gerichte vorgeschlagen. An der Endhaltestelle verabschieden wir uns – ich könne mich aber jederzeit melden, falls ich weitere Tipps brauche. Mit so viel Freundlichkeit bin ich als Wahl-Wienerin fast schon überfordert!
KI als Brandbeschleuniger
Endlich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk angekommen, wartet Aleksandra Ketlerienė auf mich, stellvertretende Chefredakteurin des öffentlich-rechtlichen Nachrichtenportals LRT.lt. Dass sie sich an diesem Tag Zeit für mich nimmt, ist keinesfalls selbstverständlich – schließlich wird heute im Parlament die neue Regierung gewählt, russische Drohnen verletzten den polnischen Luftraum, außerdem soll in den kommenden Tagen erstmals seit 2021 wieder die russisch-belarussische Militärübung „Sapad“, zu Deutsch Westen, stattfinden. Es sind also turbulente Zeiten.
Als Journalistin hat Aleksandra Ketlerienė die aktuelle Nachrichtenlage genau im Blick
Aleksandra ist neben ihrer Arbeit als Journalistin auch Lektorin an der Universität und gibt an Schulen Unterricht in Sachen Medienkompetenz – die perfekte Gesprächspartnerin also, um über Desinformation zu reden und wie man dieser begegnen kann. Dass gezielt Falschinformationen in Umlauf gebracht werden, sei in der jüngeren Geschichte Litauens schon immer ein Problem gewesen, insbesondere während der Besatzung durch die Sowjetunion. Mit dem Aufstieg der Künstlichen Intelligenz habe sich die Situation allerdings drastisch verschärft – und je besser die Modelle werden, desto schwieriger werde es, wahr von falsch zu unterscheiden. Prinzipiell sei die KI nämlich durchaus hilfreich, wären da nicht die feindseligen Nachbarn Russland und Belarus, welche laufend versuchen, das Vertrauen innerhalb der litauischen Gesellschaft zu untergraben.
Eine Generation, viele Herausforderungen
Über die Mittagszeit treffe ich mich mit Airida, der Freundin eines Freundes, die mich schon vor der Reise mit allerhand Einblicken und Informationen über Litauen versorgt hat. Wir spazieren durch den südlichen Teil der Altstadt, wo sich unter anderem von 1941 bis 1943 das Ghetto von Vilnius befunden hat. Heute sind in den Gassen viele kleine Geschäfte und Cafés untergebracht. Airida erzählt mir, wie es ist, als junge Person in Vilnius zu leben – ein Thema, das ich im Laufe des Nachmittags noch weiter vertiefen werde.
Dann bin ich nämlich mit Gabija verabredet, Vize-Präsidentin der Studierendenunion LSS und verantwortlich für die KI-Agenden. Gabija meinte zu ihrer Chefin, sie sei in einer Stunde zurück – am Ende reden wir rund dreieinhalb Stunden sprichwörtlich über Gott und die Welt. Neben der Frage, wie die KI den Unterricht an den Hochschulen verändert und welche Gefahr von KI-generierten Inhalten in den sozialen Netzwerken ausgeht, sprechen wir auch viel darüber, was litauische Studierende derzeit sonst so bewegt – von der schwierigen Wohnungssuche über steigende Lebenskosten und die hohe Jugendarbeitslosigkeit bis hin zur sozialen Treffsicherheit des Bildungssystems. Ich erfahre so einiges über die Parallelen, aber auch Unterschiede zwischen Litauen und Österreich.
Studierendenvertreterin Gabija setzt sich intensiv mit der Nutzung von KI an den Hochschulen auseinander
Am Ende kommen wir auch auf die politische Partizipation von jungen Menschen zu sprechen, diese ist in Litauen äußerst niedrig. Litauens Jugend fühlt sich von der Politik kaum repräsentiert, ihre Themen und Anliegen werden im politischen Alltag nur selten behandelt. Eine starke Stimme für die Anliegen der jungen Bevölkerung ist LiJOT, der Dachverband von Litauens Jugendorganisationen, erzählt mir Gabija. Passenderweise treffe ich mich morgen Vormittag mit Umberto, dem Präsidenten von LiJOT. Er war in letzter Zeit viel in den ländlichen Gebieten unterwegs und kann mir somit hoffentlich einen Einblick geben, welche Themen die Jugend abseits der großen Städte bewegen.