Tag 3, Kosovo: We don´t speak American
Gefangen in der Bubble der proeuropäischen Überzeugungen: Ein Luxusproblem, welches es heute dennoch zu lösen gilt. Um besser zu verstehen, wie junge Menschen hier auf die Herausforderungen unserer Zeit blicken, gilt es auch jene zu hören oder wenigstens zu beobachten, die mit Skepsis auf Europa, die EU, ja vielleicht sogar auf Österreich blicken. Pristina wird nur von wenigen hundert Serb:innen als Heimat gesehen, einen eigenen proserbischen Stadtteil gibt es nicht, versichert man mir. Um also jene Menschen zu finden, in denen das serbische Herz lauter schlägt als jenes, das Kosovo als unabhängig sieht, muss ich in den Norden fahren.
Hierzu gilt es jedoch zuerst einen Autobus zu finden, der diese Strecke abdeckt. Fernreisen und auch jene, die bloß in andere Orte des Kosovo führen, fahren vom zentralen Busbahnhof ab, soweit jedenfalls die Theorie.
Doch auch der Busbahnhof liegt eher außerhalb und zu Fuß würde es von meiner Unterkunft aus etwa eine Stunde dauern. Die innerstädtischen Busse können Abhilfe schaffen, welcher genau ist genauso eine Herausforderung wie zu welcher Uhrzeit sie fahren, beides sind bloß grobe Werte, die bestenfalls der unverbindlichen Orientierung gelten können. Wer nicht weiter weiß, sollte auf motivierte Fahrer wie Vadim hoffen. Mit einem lauten Krachen setzt sein Minibus vor mir auf, das Blechteil, welches den rissigen Asphalt kratzt, scheint froh zu sein, auch eine kurze Pause zu bekommen, und fällt endgültig ab. Vadims Fahrstil und der Rost, der hier über viele Jahre nagte, haben heute ein neues Opfer gefordert. Macht nichts, es ist nicht das einzige Verkleidungsteil, das diesem Bus fehlt, und außer mir scheint das auch niemandem zu beunruhigen. Die deutsche Dachdeckerei, die auf diesem Gefährt wirbt, gibt es wahrscheinlich nicht mehr, und wenn, wüsste sie sicherlich nicht, dass sie um Kunden im Kosovo wirbt. Busse, die hier fahren, wurden in umliegenden EU-Ländern ausrangiert, bilden hier aber einen wichtigen Bestandteil der Infrastruktur. So tuckern wir also vor uns hin, Vadim versteht mich nicht, ich verstehe Vadim nicht, und die anderen Fahrgäste fragen sich wahrscheinlich gleichzeitig mit mir, warum ich nicht einfach ein Taxi genommen habe. Irgendwann erreichen wir dann eine Straße, die Industriegebiet und Schnellstraßenzubringer zu verbinden scheint. Hier bin ich richtig, den Vadim schreit in allen Wörtern die er meint im Englischen zu kennen, dass ich nun aussteigen solle. Drei Leitplanken, ein paar Geröllhänge später und dem Trampelpfad durch den vertrockneten Rollrasen folgend, erblicke ich nun endlich den Busbahnhof. Zugegeben, es hätte auch einen schöneren gepflasterten Weg gegeben, aber der lag weder entlang meiner Ausstiegsstelle noch wurde er von den Einheimischen genutzt, vielmehr ist er heute die Sonnenterrasse einiger Straßenhunde.
Solche Busbahnhöfe habe ich schon oft gesehen, das Konzept dachte ich zu verstehen. An einem der vielen Schalter frage ich nach „Mitrovica“ und man zeigt mir, dass ich diesen Bus nicht an einem der Terminals, sondern da, wo auch die Flughafenbusse abfahren, finden würde. 20 Minuten später stehe ich wieder bei den Terminals, denn die zuvor erteilte Auskunft war falsch. Einer der Fahrer versichert mir, dass Stopp Nummer 4 jener Ort sein würde, an dem ich meinen Bus finden könnte. Nach einer Dreiviertelstunde ist klar: Zur Nummer 4 kommt kein Bus, also machte ich mich neuerlich auf die Suche. Google und Co funktionieren im Kosovo nicht, Adressen lagen oft noch mehrere hundert Meter von da entfernt, wo „Sie haben Ihr Ziel erreicht“ auf meinem Bildschirm aufleuchtete. Die Suche nach Fahrplänen oder Infos zu jenem Bus, nach dem ich nun seit über einer Stunde suchte, braucht man im Internet erst gar nicht zu beginnen. Das, was digitale Dienste nicht zu lösen wissen, kann die Hilfsbereitschaft der Menschen in diesem Land wieder wettmachen. Eine junge Dame erbarmte sich meiner, diskutiert mit den Angestellten am Bahnhof und findet heraus, dass die Busse in den Norden nun an einer Kurve etwa einen Kilometer entfernt abfahren. So lief ich mit der Retterin in meiner Not die Straße entlang, wie ein Schulbub, der Angst vorm ersten Schultag hat, und fand tatsächlich, wonach ich bisher so vergeblich gesucht hatte. 1,50€ sollte mir die Reise zu meinem neuen Abenteur kosten.
Am Ziel?
Ein paar Shops, aufgeplatzte Melonen, Gemüse, Verkäufer, die auf ausgebauten Autositzen im Schatten der Bäume auf ihre Kunden warten, und leuchtend rote Flaggen mit schwarzen zweiköpfigen Adlern drauf, albanischer Stolz prägt also jenen Ort, an dem ich eigentlich nach Personen suche, die Serbien die Treue schwören. Es braucht noch einige Schritte entlang einer prachtvollen Moschee, bis ich zu einer metallenen Brücke gelange. Vier Autos der italienischen Carabinieri, Vertreter:innen der schweizer Armee und Polizist:innen mit „EU-Police“-Schriftzügen, es wirkt wie ein Filmset, denn hier passt nichts zusammen. Kosovos Sicherheit und Stabilisierung hängt maßgeblich von Assistenzeinsätzen und multilateraler Unterstützung ab, in diesem Land finden sich wichtige Militärbasen wie etwa Bondsteel, und hier, im kleinen Mitrovica, kommen sie alle zusammen, denn das Konfliktpotential ist hoch.
Die Xhamia Isa Beg Moschee in Süd Mitrovica
Besagte Brücke hätte eigentlich alles besser machen sollen, die „New Bridge“ verbindet Nord- und Süd-Mitrovica. Der Süden wird von Personen albanischen Ursprungs, der Norden von jenen serbischer Herkunft bewohnt. Bei der Renovierung der Brücke im Jahr 2001 wurden serbische und albanische Arbeiter:innen gleichermaßen eingesetzt, als Zeichen der Versöhnung oder zumindest des Willens, miteinander auszukommen. Ganz so prachtvoll, wie man sich das vorgestellt hatte, ist es heute wohl nicht mehr, vielmehr gilt es, dem ständigen Beschuss durch Taubenkot auszuweichen.
Die “New Bridge” mit einem Auto der italienischen Carabinieri
Unmittelbar nach der Brücke, am Anfang des nördlichen Teils, erstreckt sich eine Einkaufsstraße, jeder freie Meter am Straßenrand wird von kleinen Cafés und Imbissen genutzt, Menschen sitzen, rauchen und unterhalten sich. Zuvor hat man mir gesagt, ich würde viele Flaggen, die Kosovo als serbisch deklarieren, finden. Dem ist nicht so. Zwar haben einige Lokale die serbische Flagge im Innenraum oder Fenster hängen, jene auf Laternen oder Fahnenmasten sind aber vergilbt oder abgerissen. “Ist die Zeit des serbischen Widerstands etwa vorbei”, frage ich mich.
Kosovo ist Serbien
Die Suche nach meinen Gesprächspartner:innen sollte also schwerer als gedacht werden. Damit ich hier nichts falsch mache, treffe ich eine Vertreterin einer lokalen Organisation, sie ist pro-europäisch, aber auch pro-serbisch, und sie besteht darauf, dass sie anonym bleibt, denn andernfalls hätte sie um ihren Job zu fürchten. Vesna (Name geändert) berichtet mir, dass ich den gesuchten serbischen Nationalstolz hier nicht finden würde, es gibt ihn, aber ich müsse mehr in Richtung der Universität und der abgelegeneren Wohngegenden gehen. Hier ist man weniger laut, es haben sich auch die Anforderungen geändert. „Kosovo ist Serbien“ sei zwar eine Überzeugung, aber nicht mehr eine ganz so laute Forderung, vielmehr möchte man als Serb:in anerkannt werden. Mehr kann und will sie mir nicht sagen, dass sie stolze Serbin ist, wollte sie mir dennoch nochmals versichern. Mit dem Gang über die Brücke hat sich dennoch einiges verändert. Kartenzahlung wird nicht mehr angenommen, Euro muss, will man aber nicht mehr akzeptieren, und mit jedem Schritt wird die Sprachbarriere größer und die skeptischen Blicke werden mehr. Und tatsächlich, jeder Meter mehr wandelt die Umgebung, der feurig roten Farbe mischt sich plötzlich ein kräftiges Blau bei, Denkmäler für serbische Helden (nur männlich) erheben sich vor mir, ein großer „Ich liebe K. Mitrovica“-Schriftzug, wie man ihn aus beliebten Urlaubsorten kennt, jedoch in serbischer Sprache, und irgendwann nur mehr Beschilderung in serbischer oder russischer Sprache. Internationalisierung? Fehlanzeige. Wo Onlinekarten vorher schlecht funktionierten, funktionieren sie nun gar nicht mehr.
Der “Ich liebe K. Mitrovica” Schriftzug
Die Universität, nach der ich suche, ist kein großer Campus, sondern einzelne getrennte Gebäude, mehr Bungalow als Haus, finden kann ich sie nur, weil mehrere Personen mir den Weg weisen. Die Universität in Mitrovica hat sich für einen Namen entschieden, der es einem auch gleich abnimmt, die Geschichte zu recherchieren: „Universität von Pristina, die nach Kosovo Mitrovica umgezogen ist“, heute kurz „Universität von Pristina in Kosovo Mitrovica“. Hier finden sich ausnahmslos Informationen in serbischer Sprache und Schrift und serbische Flaggen, zwischen den Türen hängen keine Informationen, sondern Bilder von Heiligen und religiösen Ereignissen, diese wenigstens mit englischer Übersetzung. Wo, wenn nicht hier, finde ich sie, die stolzen Serb:innen?
Eines der religiösen Bilder an der Universität
Einen Pausenhof finde ich nicht, Freizeit verlagert sich mehr auf die Straßen und das gegenüberliegende Café. Die meisten Studierenden sind in Lehrsälen oder eilen zu ihren Autos. Nur Natalija (28) sitzt mit ihrer Kollegin am Gang und bespricht den heutigen Tag. „Ich kann nicht so gut Englisch“ ist ihre erschrockene Antwort auf meine Frage nach einem Gespräch. „Gut so, mein Serbisch ist auch dürftig“ entgegne ich und so starten wir unsere Unterhaltung. Natalija kommt eigentlich aus der serbischen Stadt Gornji Milanovac, sie ist hier, weil ihr Bruder auch hier studiert und meint, dass die Aufnahmekriterien nicht zu schwer seien und es auch kurzfristige Studienplätze für ihr Psychologiestudium gäbe. Ob man Englisch kann, ist weder hier noch auf ihrem sonstigen Bildungsweg wirklich wichtig gewesen, sie spricht es ein wenig, aus persönlichem Interesse.
Als meine Euphorie, endlich eine Gesprächspartnerin gefunden zu haben, steigt, werden Natalija und ihre Freundin zum Unterricht hereingebeten, glaube ich. Wie sich später herausstellt, war es mehr eine Maßnahme, das Gespräch zu beenden. Natalija und ihre Kollegin verlassen schon kurz darauf das Gebäude über einen anderen Ausgang, vorbei an mir. Auch andere Studierende sind nicht mehr zu finden. Gespräche mit Angestellten verlaufen im Sand, wir können keine gemeinsame Sprache finden.
Ein Verwaltungsgebäude und die Philosophische Fakultät der Universität von Pristina in Kosovo Mitrovica
Der Westen
Gleich ums Eck soll es eine technische Sekundarschule geben, sagt Google. Auch dort fällt die Suche nach Gesprächen mager aus, der Unterricht war bereits zu Ende und so soll ein internationales Business College mir zum Glück verhelfen. Die Website wirkt überzeugend und wo, wenn nicht dort, spricht man Englisch. Das Problem ist nur, an der angegebenen Adresse findet sich keine Bildungseinrichtung und irgendwie kennt das College niemand. Es mag existieren, aber nur wenige Menschen sind bereit, für eine Auskunft stehen zu bleiben, meistens ist die Antwort „I don’t speak American“. Es ist kein Zufall, dass viele „American“ anstelle von „English“ nutzen. Amerika und die serbische Gesellschaft haben ein zerrüttetes Verhältnis, zu tief sitzt der Schmerz aus dem Kosovokrieg. Weder eine amerikanische Suchmaschine noch die Sprache dieses Landes sind hier der Schlüssel zum Erfolg. Eigentlich müssten die Menschen Europa hier dennoch zu schätzen wissen, der Busbahnhof, die Schulen und die Universität, überall steht „finanziert aus Mitteln der Europäischen Union“, aber irgendwie ist es dennoch elitäres Denken, dass das die Lösung für eine so tief verankerte Skepsis ist.
Englisch ist die Sprache des Westens und der Westen wird hier oft als Feind gesehen. Um das zu lösen, bräuchte es Aufklärung und politische Initiative von allen Seiten, im kleinen Mitrovica wird sich das also wohl so bald nicht ändern.
Auch Vesna, die Vertreterin einer lokalen NGO, ist enttäuscht, dass niemand mit mir sprechen wollte, aber nicht verwundert: „Früher kamen hier die Leute her, um zu sehen, wie schlecht es uns geht, wie wir hausen (…) die Menschen sind hier eigen und es wurde nie versucht, sie wirklich zu verstehen.“
Viele Eindrücke, viel Emotion, aber wenige Worte sind es, mit denen ich meinen Heimweg antrete. Serb:innen sind im Kosovo die Minderheit und ihre Bedürfnisse ganz andere als jene der jungen Kosovar:innen albanischen Ursprungs. Manchmal sucht man nach der anderen Seite und muss feststellen, dass sie komplexer als gedacht ist. So auch hier.
Am Rückweg, vorbei an jener Straße mit den vielen Cafés, treffe ich nochmals auf Natalija und ihre Freundin, ein verlegener Blick und ein leises „sorry“ sollen das Ende unserer Begegnung sein.
Wieder angekommen im Bus, mit vielen Notizen und noch mehr Gedanken, versuche ich zu verstehen, was ich erlebt habe. Eigentlich nicht das, was ich erhofft hatte, und doch so viel.
Disclaimer: Ich habe nur 2 Gebäude der Universität besucht, auf diese bezieht sich meine Erzählung.
INFOBLOG
Universität in Mitrovica: https://en.pr.ac.rs/university/about-us/about-the-university/
International Business College Mitrovica: https://www.ibcmitrovica.eu/en