Tag 4: Kaffee und Šaltibarščiai
Heute ist mein vorletzter Tag in Litauen, und wie immer strahlt auf dem Weg zu meinem ersten Termin die Sonne vom Himmel. Auf der Vilniaus gatvė schreitet ein junger Mann im Anzug eloquent auf mich zu. Das muss mein Interviewpartner sein, denke ich mir, hoffentlich hat er sich nicht extra für mich schick gemacht. Immerhin hat es 25 Grad und ich schwitze bereits im T-Shirt.
Der junge Mann heißt Umberto Masi, ist 26 Jahre alt und Präsident des Dachverbandes litauischer Jugendorganisationen, kurz LiJOT. Keiner kann mir besser davon berichten, was Litauens Jugend derzeit bewegt, als Umberto. Wir in Österreich hätten etwas, wofür er in Litauen seit einiger Zeit kämpft: bereits ab 16 Jahren wählen zu dürfen. In den letzten Monaten war Umberto viel in den kleineren Städten auf dem Land unterwegs, um die Bürgermeister dort von einer Senkung des Wahlalters zu überzeugen.
Umberto ist Präsident der größten Jugendorganisation Litauens
Umberto weiß, wie er Menschen auf seine Seite ziehen kann, er ist äußerst redegewandt und selbst in Englisch um kein Wort verlegen. Manchmal verwende er auch Künstliche Intelligenz, um seinen Argumenten den letzten Feinschliff zu verpassen. Allgemein fehle unter jungen Menschen jedoch ein verantwortungsvoller Umgang mit KI. Das sei problematisch, vor allem für „trust and truth“, also Vertrauen und Wahrheit innerhalb der Gesellschaft. Der Aufstieg der KI sei zum schlechtesten Zeitpunkt gekommen, wo das Vertrauen in Demokratien ohnehin bereits auf dem Prüfstand stehe.
Unser Gespräch endet gerade rechtzeitig um kurz vor halb zwölf, „in acht Minuten fängt mein nächstes Meeting an“, sagt Umberto. Er ist ein vielbeschäftigter Mensch, Sommerpause hat es für ihn heuer keine gegeben. In zwei Monaten wird der LiJOT-Vorstand neu gewählt, Umberto strebt eine zweite Amtszeit an. Ich wünsche ihm viel Glück und spaziere weiter zur Hauptuniversität, von der mir bereits einige Interviewpartner vorgeschwärmt haben. 1579 erbaut, zählt sie zu den ältesten Universitäten in Europa. Ich rede mit einigen Studierenden über KI, so richtig begeistert ist hier auf der philosophischen Fakultät aber niemand davon.
Nun kann ich verstehen, warum mir ein Besuch der Hauptuniversität immer wieder ans Herz gelegt wurde
Am Nachmittag bin ich schließlich noch mit Kristijonas verabredet. Wir treffen uns – wie sollte es anders sein – in einem Café, damit steigt der Zähler auf sieben (falls wer Tipps benötigt, ich kenne mich jetzt aus!). Kristijonas ist Vorsitzender der Schüler:innenunion LMS in Vilnius und befindet sich in seinem letzten Schuljahr. Im Sommer stehen die Abschlussprüfungen an, in Litauen könne man aber nur aus jenen Fächern auswählen, auf die man sich ab der zehnten Klasse spezialisiert habe, erklärt mir Kristijonas. In seinem Fall sind das unter anderem Englisch, Chemie und Physik, aber auch IT. Er interessiere sich sehr für das Programmieren, eine Grundbildung in Sachen digitale Kompetenz hält er in Zukunft für unausweichlich, um auf dem Arbeitsmarkt zu überleben.
Neben meinem Recherchethema plaudern wir ein wenig darüber, was ich die Tage sonst so gemacht habe. Ich erzähle ihm von meinem Treffen mit dem LiJOT-Präsidenten heute Vormittag. „Ah, Umberto“, meint Kristijonas, „lass mich raten: Er hatte einen Anzug an!“ Es gibt wohl keine Person in den litauischen Jugendorganisationen, die Umberto jemals ohne Anzug gesehen hat. Ich bin erleichtert: Er hat sich also nicht extra für unser Interview in Schale geworfen.
Kristijonas vertritt die Anliegen der Schüler:innen von Vilnius
Um meine letzten Stunden in Vilnius gebührend auszukosten, suche ich fürs Abendessen nach einem Restaurant mit traditioneller litauischer Küche. Immer wieder wurde mir diese Woche Šaltibarščiai empfohlen, eine kalte Rote-Beete-Suppe mit Kefir und Gurken – klingt gewöhnungsbedürftig, schmeckt aber fantastisch!
Während ich mein Dessert genieße, höre ich die beiden Männer am Nebentisch angeregt auf Litauisch diskutieren. Ich verstehe zwar nichts, ein paar Wortfetzen schnappe ich aber trotzdem auf – OpenAI, Google, Gemini –, es geht wohl um KI. Das Thema sorgt überall für Gesprächsstoff, es scheint kein Entkommen mehr für mich zu geben.
Ein Traum in Pink: Eine Kostprobe der traditionell litauischen Küche durfte zum Abschluss nicht fehlen