Tag 4: Rotterdam - in Partnerschaft mit allem Leben?
Rotterdam also. Nach der eher romantischen Grachten-Stimmung in Amsterdam fühlt sich die Stadt sofort anders an: moderner, kantiger, internationaler. Kein Wunder, schließlich wurde Rotterdam im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört und danach komplett neu aufgebaut – Architektur spielt hier eine Hauptrolle. Zwischen Hochhäusern, futuristischen Brücken und dem riesigen Hafen merkt man sofort: Hier ist das wirtschaftliche Herz der Niederlande.
Den Vormittag nutzte ich, um mir Katendrecht anzusehen – ein ehemaliges Arbeiterviertel und Hafenareal, das früher eher verrufen war. Heute gilt es als Paradebeispiel für Gentrifizierung in Rotterdam: kreative Cafés, hippe Wohnprojekte, steigende Mieten. Genau die Art von Ort, die zeigt, wie sich Stadtviertel durch Investitionen und neue Zielgruppen komplett verändern – und was das für die Menschen bedeutet, die hier ursprünglich gelebt haben. Zu Mittag stärkte ich mich dann mit “Rotterdamsche Bitterballen”, also den hier typischen frittierten Fleischbällchen und einer hausgemachten Tomatensuppe im ältesten Cafe Rotterdams, im Cafe Melief-Bender.
Katendrecht: Hier wird viel geplant und gebaut
Rotterdammer Mittagessen
Am Nachmittag hatte ich dann ein Interview mit Suzanna Lividikou vom Woonbond, dem niederländischen Mieter:innenverband. Sie ist dort speziell für die Anliegen von jungen Menschen zuständig – und konnte mir sehr eindrücklich erklären, wieso gerade sie unter besonders hohem Druck stehen. Ein Grund dafür: In den Niederlanden verdienen junge Leute erst ab 21 Jahren den regulären Mindeststundenlohn von 14,40 Euro. Je jünger man ist, desto weniger – 15-Jährige arbeiten zum Beispiel für nur 4,32 Euro pro Stunde. Die Mieten aber sind für alle gleich hoch und in voller Höhe zu bezahlen, sobald man von zuhause auszieht. Und das passiert in den Niederlanden typischerweise schon mit 18 Jahren. Wer dann auf eine sozial geförderte Wohnung hofft, muss sich auf extreme Wartezeiten einstellen – in manchen Städten kann das bis zu 15 Jahre dauern, wie Suzanna erklärte.
Am Abend war ich im Nieuwe Instituut, dem niederländischen Museum für Architektur, Design und digitale Kultur. Das Nieuwe Instituut befasst sich mit wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen wie Wohnungsnot, Klimawandel, dem Aufstieg künstlicher Intelligenz und Raumplanung. Das Nieuwe Instituut präsentiert die Arbeit von Designern, vernetzt Menschen und sammelt, entwickelt und teilt Wissen. Besonders spannend fand ich, dass das Institut seit 2022 als Zoöp agiert – also als Organisation, die auch nicht-menschliche Stimmen und Interessen in ihre Entscheidungsfindung einbezieht. Ziel ist es, durch große und kleine Interventionen eine Welt zu schaffen, in der Menschen in einem gleichberechtigten Verhältnis zu Tieren, Pflanzen, Mikroben und anderen Lebensformen leben. Der Begriff Zoöp setzt sich aus dem altgriechischen ζωή (zoë = „Leben“) und dem Wort „Genossenschaft“ zusammen – und steht für eine Partnerschaft mit allem Leben.
Gleichzeitig steht das Institut auch vor sehr praktischen Herausforderungen: Aktuell sucht man nach einem Umgang mit den vielen Obdachlosen, die das Außengelände nutzen und manchmal auch Spritzen oder Alkohol liegen lassen. Ein Problem, besonders wenn man auch Kinder auf das Gelände einlädt. Die Problemlösung – so erzählte mir die Tour Guide – gestalte sich nicht unbedingt einfach, aber zeigt, wie eng soziale und ökologische Fragen miteinander verbunden sind.
Das Nieuwe Institut von draußen
Während der Führung gingen wir auch nach draußen in den Landschaftsgarten und jede:r suchte sich eine Pflanze aus, die man beschreiben und nach ihrem Befinden (nach bestem Gewissen) fragen sollte :-)