Tag 2: Zwischen Harmony Heroes und Schönheit im Auge des Betrachters
Lautes Hupen, rasende Autos, lebendige Diskussionen: Die Tage auf Pristinas Straßen beginnen früh und sind laut. Die gelernte Nachtruhe, die man als Österreicher etwa zeitgleich mit der Einnahme der ersten festen Nahrung beigebracht bekommt, scheint es hier nicht zu geben.
Gestärkt vom Frühstück, welches aus buntem Gemüse, gebratenen Paprika, Melonen, verschiedenen Broten, Eintöpfen und zusätzlich den „continental“ Klassikern besteht, führt mich mein Weg neuerlich auf jenen Pflastersteinen entlang, die mir gestern zu meinen ersten Eindrücken verholfen haben. Heute sind sie nicht so heiß, eher kalt, und auch die Himmelsdecke versucht sich in verschiedenen grauen Nuancen. Das kommt mir gelegen, denn meine Sonnencreme hat beschlossen, die Reise nicht anzutreten, und so musste ich mehrere Geschäfte abklappern, um Ersatz zu finden. Zu meiner Verwunderung ist dieses Produkt in den sonst so prall gefüllten Supermärkten Mangelware, und nur Apotheken können Abhilfe bieten.
Die Jugend im Blick
Der heutige Tag soll dazu dienen, die Stadt und ihre Strukturen besser zu verstehen und ein Gefühl dafür zu bekommen, wo ich jene Menschen treffen kann, die mir erzählen, was ich herauszufinden versuche: Wie lebt Europas Jugend hier? Wie erlebt sie die Herausforderungen unserer Zeit, und was ist ihr gerade wichtig?
So stehe ich irgendwann vor einem Gebäude, von dem ich zuvor schon viel gelesen hatte. Die einen nennen es beeindruckende Architektur, die anderen reihten es unter die hässlichsten Gebäude der Welt. Die Nationalbibliothek des Kosovo ist die größte in diesem Land, sie ist nach dem albanischen Autor „Pjetër Bogdani“ benannt, das kontroverse Gebäude ziert bereits seit 1982 das Erscheinungsbild der Stadt. 99 Kuppeln und jede Menge Stahl laufen ineinander, um die außergewöhnliche Architektur des Gebäudes zu bilden. Fast schon heroisch sticht die Architektur aus einem vertrockneten Park neben einer verfallenden Kirche im leuchtenden Ziegelrot hervor. Doch nicht nur zur Stadterkundung, sondern vor allem zum Gespräch mit der jungen Generation bin ich hier. Hier treffen Studierende mehrerer universitärer Fakultäten, die rund um den genannten Park liegen, aufeinander, lernen, diskutieren oder verbringen einfach nur ihre Mittagspause. Es sind die ersten Gespräche mit Personen, die es nicht als ihren beruflichen Auftrag sehen, mich von ihrer proeuropäischen Haltung zu überzeugen, und dennoch, sie sind sehr von selbiger überzeugt. So schön es ist, diese Worte der Dankbarkeit, der Zuversicht und Hoffnung zu hören, so schnell wird auch klar: Das hier ist eine Bubble, und ich mittendrin. An diesem Tag werde ich das auch nicht mehr ändern können.
Maximilian Handl vor der Nationalbibliothek des Kosovo
Ein Palast aus alten Tagen
Wer nach Jugend sucht und eine Suchmaschine zur Hilfe nimmt, der stößt schnell auf den „Palast der Jugend und des Sports“, so landete auch ich vor genanntem Gebäude. Der Palast hat die besten Tage hinter sich, und er erinnert an Architektur einer Zeit, in der mehr ist mehr galt. Stahl, Beton und ein roter Ziegelboden, alles abgeschlagen, alles kahl. Jene Bäume, die seit Jahren versucht haben, in den trockenen Beeten inmitten dieser Hitzeinsel zu überleben, haben ihren Kampf längst aufgegeben. Die verschiedenen Flaggen und die krachende Musik aus den Lautsprechern können diesen Ort auch nicht aufwerten, ebenso wenig wie die kleinen Geschäfte. Im Inneren soll es noch kleine Sporthallen und Platz für Freizeitaktivitäten geben, heute kann man davon leider nichts besichtigen. Ein erheblicher Teil des Innen- und Außenlebens befindet sich seit den 2000er Jahren, nach einem Brand, unter Renovierung. Junge Menschen habe ich hier heute keine getroffen.
Palast der Jugend und des Sports (albanisch: Pallati i Rinisë dhe Sporteve)
Neugeboren
Direkt vor dem Palast aus vergangenen Tagen stoße ich auf einen über 20 Meter langen Schriftzug mit dem Wort „Newborn“ in beigen und türkisen Farben, ergänzt von floralen Verzierungen und hier und da einer Unterschrift. Seit dem 17. Februar 2008, dem Tag der einseitigen kosovarischen Unabhängigkeitserklärung von Serbien, befindet sich dieses Monument bereits hier. Es wurde schon oft neu bemalt, mal gelb, mal Camouflage, auch schon mit den Flaggen jener Länder, die Kosovo als unabhängig anerkennen. Die eigentliche Botschaft ist die Neugeburt eines neuen, modernen Landes. Vielleicht steht der Schriftzug auch deshalb vor dem tristen Jugendpalast.
Der weitere Spaziergang durch die umliegenden Straßen lässt klar werden, weshalb man hier dankbar für Europas Unterstützung ist. Bänke mit Solarpanelen und dem Finanzierungshinweis aus Geldern der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Wartehäuschen und Denkmäler aus Geldern der EU. Es ist transparent gehalten, wie sehr man hier in der Vergangenheit auf Unterstützung angewiesen war.
Das Newborn Momument
Zu Besuch beim deutschen Botschafter
Wohl auch deswegen führte mich mein abendlicher Weg an keinen geringeren Ort als die Residenz des deutschen Botschafters. Auf einer Anhöhe ist sie kaum zu übersehen, da, wo gerade noch abfallende Fassaden und verwachsene Randsteine waren, steht jetzt ein moderner Bau, mit sattgrünem Rasen und perfekt geschnittenen Bäumen, so wie man sich eine diplomatische Residenz nun einmal vorstellt. Auf Einladung des Regional Youth Cooperation Office (RYCO), darf ich heute bei der Verleihung der „Harmony Hero Awards“ dabeisein. Gemeinsam mit der deutschen Botschaft werden anlässlich des bevorstehenden World Peace Days junge Menschen für ihre herausragende Friedensarbeit ausgezeichnet. Heute Abend sind es fünf, wobei ein Preis an eine Gruppe an Schüler:innen geht. Wie bei Zeremonien üblich sprechen der Botschafter, die Organisatoren und Jeton Zulfaj, Berater des Premierministers. Er nutzt seine Zeit nicht nur für lobende Worte, sondern einen klaren Appell: „Es ist nun an euch, Brücken zu bauen und Wände niederzureißen, Vertrauen zu schaffen und an einer Zukunft in Einigkeit zu arbeiten.“ Er glaubt an einen unabhängigen Kosovo, aber wünscht sich, dass man auch mit den Nachbarn (Serbien) ein Miteinander finden kann. Der Beifall ist lauter, als er das bei seinen Vorrednern war, und lässt hoffen, dass das nicht nur Worte für diesen Abend waren.
Amina Kaja, eine Gewinnerin aus dem Vorjahr, versucht den zeremoniellen Akt mit einem Slam Poetry eine persönliche Note zu verleihen und eine klare Botschaft zu vermitteln: „Auf meiner Suche nach Helden bin ich um die Welt gewandert, nur um sie unter uns zu finden (…) und hoffe, dass wir bereit sind, diese zu sein.“ Auch die Gewinner:innen nutzen ihre Dankesreden für klare Botschaften, sie erzählen von patriarchalen Strukturen in kleinen Dörfern, die vor allem für Frauen eine Hürde darstellen, von neuen Chancen, Hoffnungen und von Ängsten.
Die Harmony Hero Awards vor Überreichung
Gerade dann, als der informelle Teil des Abends begann, tat der Himmel das, was er zuvor angekündigt hatte: ein Regenguss, der auch nicht vor der Residenz des deutschen Botschafters Halt machen wollte, zwang die Menschen aus dem Außenbereich zurück in den Innenraum und ermöglichte gleichzeitig viele fruchtvolle Unterhaltungen, etwa mit kosovarischen Jungdiplomat:innen, die ich an anderer Stelle sicherlich noch erwähnen werde.
Dieser Tag ist jedenfalls prall gefüllt mit vielen Eindrücken zu Ende gegangen. Gespräche, Begegnungen und Orte haben ein Bild gezeichnet, das komplex und zugleich hoffnungsvoll wirkt und so wächst die Vorfreude auf Tag 3, der neue Einblicke und weitere Begegnungen verspricht.
Harmony Heroes Preisverleihung
INFOBLOG
RYCO (Regional Youth Cooperation Office) wurde 2016 von den sechs Westbalkan-Ländern gegründet. Es vernetzt junge Menschen über Grenzen hinweg, fördert Dialog, Vertrauen und gemeinsame Projekte – mit Unterstützung internationaler Partner.
Mehr: https://www.rycowb.org/
Mehr zu den Harmony Hero Awards: https://www.rycowb.org/know-a-peace-hero-or-are-you-one-nominate-now-2/