Ungarn, Tag 3 - Frisch gemachte Nägel für das Parlamentsbüro
Nach zwei langen Tagen und schlafarmen Nächten sind wir froh, heute etwas länger schlafen zu können. Unser erster Termin ist erst zu Mittag, weshalb wir an diesem entschleunigten Morgen die Letzten beim Frühstück sind. Als meine halbvolle Müslischüssel vor mir abgeräumt wird, wissen wir: jetzt müssen wir Meter machen.
Heute geht es ins Bürogebäude des Parlaments, wo wir die Oppositionspolitikerin Katalin Cseh treffen. Für so einen offiziellen Termin haben Max und ich uns richtig rausgeputzt: frisch lackierte Fingernägel, gezupfte Augenbrauen, das Hemd mit dem Travel-Steamer von allen Falten befreit. Am Security Check werden wir von einer Kollegin Csehs abgeholt, die Jeans und T-Shirt trägt. Unsere Anspannung fällt somit ein Stück weit ab.
Ein Politikerinnen-Interview ist nach vielen Gesprächen mit Einzelpersonen und NGOs fast ein kleiner rhetorischer Kulturschock. Doch nach den anfänglichen PR-Statements wird Cseh offener. Sie spricht über ihre Partei, die EU, die Zukunft Ungarns. Und sie erzählt Persönliches, zum Beispiel, dass ihre 73-jährige Mutter, mit zwei operierten Kniegelenken, selbst bei der Pride-Parade mitmarschierte, als sie vom Verbot hörte.
Katalin Cseh, Politikerin der Momentum-Bewegung und Teil der LGBTQ+-Intergroup im ungarischen Parlament.
Foto: Max Herbst
Unser zweiter Interviewpartner hat uns leider spontanerweise abgesagt, also spazieren wir zum Hauptgebäude des Parlaments. Eine Presseakkreditierung gibt es leider nicht und die Tickets sind für heute ausverkauft. Somit löst sich leider damit mein Plan in Luft auf, dort jemanden von FIDESZ mit ein paar Fragen zu konfrontieren. Während ich vor dem Gebäude dann endlich mal wieder meine Mama anrufe („Ja hallo Mama, ich lebe noch“), fotografiert Max den Fahnenmast vor dem Gebäude: vielleicht 30 Meter hoch und so spitz zulaufend, dass er einen nur an einen Speer erinnern kann. Am Boden ist der Masten von schweren Metallketten umzäunt, deren Pfosten an Handgranaten erinnern, wenn man einmal in dieser Interpretation der Waffensymbolik gefangen ist.
Das Parlamentsgebäude in Budapest.
Foto: Max Herbst
Am Nachmittag landen wir in einer Buchhandlung mit einem Café. Chai Latte und Limonade am Tisch, Laptops aufgeklappt, wir arbeiten unsere To-Dos ab. Selten fühlt man sich im Ausland so verbunden wie in dem Moment, in dem sich das Handy automatisch mit dem eduroam-Router verbindet. Wir kommen mit einem Mitarbeiter ins Gespräch und fragen ihn, wie sie hier mit LGBTQ-Content umgehen. In Ungarn müssen Kinderbücher, die Queerness zeigen, per Gesetz in Plastikfolie eingeschweißt werden. Der Buchhändler blinzelt mich überrascht an, davon habe er noch nie gehört. Dann sagt er nur: „Respectfully, fuck that“