Zypern, Tag 5: Von Patriotismus und Machtdemonstration
Tag 5 ist zwar der letzte Tag von Eurotours, aber nicht der letzte Tag meiner Reise – für mich geht´s noch für einige Tage weiter in den Norden Zyperns. Am Weg ganz in den Spitz der Insel (die Karpaz-Halbinsel) mache ich einen Stopp am Wasser. Mir fallen sofort die riesigen, halbfertigen Rohbauten auf, die direkt am Strand aufgereiht stehen. Über speziell diese Bauten, die auf der Karpaz-Halbinsel am Strand gebaut wurden, konnte ich leider nichts genaueres herausfinden. Ganz allgemein sind aber die vielen unfertigen Rohbauten, die im Norden der Insel verteilt sind, sichtbare Spuren von Konflikt, Unsicherheit und Spekulation: Nach dem Krieg 1974 wurden viele Grundstücke verlassen oder neu verteilt – dadurch ist bei einigen Gebäuden und Rohbauten nicht vollends geklärt, wer Anspruch darauf hat. Ein Risiko stellt außerdem die lokale Wirtschaft dar, die stark von der Türkei abhängig ist. Finanzkrisen führen dazu, dass für viele Projekte plötzlich kein Geld mehr da ist. Viele halbfertige Hotels stammen aus den späten 90er/ frühen 2000er Jahren, als man auf einen großen Tourismusboom hoffte – der so aber nie kam.
Riesige, halbfertige Gebäudekomplexe stehen an leeren Stränden, am Straßenrand oder mitten in der Landschaft.
Mein nächster Weg führt mich zu Zekai – er ist türkische Zypriote und wurde auf der Südseite der Insel geboren. Mit 13, als der Krieg ausbrach, wurde er von dort vertrieben. Mit seiner Familie musste er etwa sechs Monate in einem Flüchtlingslager verbringen, ehe er in den Norden der Insel auswandern musste, wo er auch heute noch wohnt. Für den heute 64-Jährigen gebe es nichts Schöneres, als sein Heimatland wieder vereint zu sehen: „For me, there is no south- and north. It´s just Cyprus“, sagt er aus tiefster Überzeugung, während er mir einen türkischen Kaffee hinstellt. Dass die türkische Republik Nordzypern von der Türkei abhängig ist – sowohl wirtschaftlich als auch politisch – findet Zekai schrecklich. Mehrmals im Gespräch betont er seinen Unmut gegenüber der türkischen Regierung. Mit seiner Meinung ist Zekai zumindest unter der älteren Generation eher eine Ausnahme - Patriotismus in Nordzypern wird an den meisten Plätzen sehr deutlich zur Schau gestellt. Am Berg Büyük Karpuz in Nordzypern ist eine riesige Flagge der türkischen Republik Nordzypern angebracht, die demonstrativ auch von der griechischen Seite gut zu sehen ist – eine Machtdemonstration der besetzten Seite. Auch vor sämtlichen Wohnhäusern weht die türkische und nordzypriotische Flagge, um das kulturelle Zugehörigkeitsgefühl zu demonstrieren.
Nach fünf Tagen intensiver Recherche und vielen Gesprächen – vorwiegend mit jungen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren – zeigt sich ein klares Bild: Die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der Insel ist groß bei jungen Menschen. Zumindest in näherer Zukunft sieht es allerdings nicht so aus, als wäre eine Wiedervereinigung in greifbarer Nähe: Erst im Juli diesen Jahres spricht sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan für eine Zweistaatenlösung aus. Anlässlich des 51. Jahrestages der türkischen Invasion im Norden Zyperns bekräftigt er seine Vorstellung bei einem Besuch in und fordert ein Ende der „Isolation der Türkischen Republik Nordzypern“. Die griechischen Zyprer und die UN hingegen fordern nach wie vor eine Wiedervereinigung. Die jüngsten Gespräche darüber sind allerdings 2017 zuletzt gescheitert.
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Wer meine bisherigen Reiseberichte verfolgt hat, weiß vielleicht schon, dass es aufgrund der angespannten politischen Situation im Nahen Osten nicht so einfach war, Interviewpartner:innen aufzutreiben. Es ist schließlich doch noch gelungen, während meiner Zeit in Zypern (nach der ursprünglichen Eurotours-Woche) zwei Interviewpartner zu finden. Ich treffe Constantinos Loizou, Präsident des Cyprus Youth Council, in einem Café etwas außerhalb von Nikosia am Tag meiner Heimreise. Die Organisation Cyprus Youth Council setzt sich für die Interessen der Jugendlichen in Zypern ein. Dazu gehören der Austausch untereinander und Initiativen zur Förderung des bikommunalen Zusammenlebens zwischen türkischen und griechischen Zypriot:innen. Mehrmals im Gespräch betont er die enorme Wichtigkeit der jungen Generation für das künftige Zusammenleben auf der Insel.
Mein zweiter Interviewpartner war Aleem Siddique von UNFICYP (United Nations Peacekeeping Force in Cyprus). Er erzählt mir von der Arbeit der Friedenstruppen, die bereits seit 1964 auf der Insel entlang der Pufferzone stationiert sind und „mehrmals im Jahr zivilie Zwischenfälle zwischen türkischen und griechischen Zypriot:innen schlichten müssen“.
Mehr davon, wie eine Lösung auf der Mittelmeerinsel aussehen könnte und wie optimistisch die junge Generation dem gegenüber steht – das gibt´s in der Kleinen Zeitung in einigen Wochen zu lesen.