“Veränderung kommt nicht über Nacht”

Heute vor 23 Jahren stürmten Demonstranten das Parlament in Belgrad und stürzten den damaligen Präsidenten Slobodan Milošević. Was durch den NATO-Angriff 1999 nicht gelang, gelang hunderttausenden Menschen, die sich vor dem Parlamentsgebäude versammelten und für Veränderung laut wurden. Sie gaben der sozialistischen Regierung die Schuld für den Krieg mit Kroatien und Bosnien-Herzegowina und für das Bombardement der NATO wegen des Kosovo-Kriegs. Es war ein Protest, der vieles im Land verändern sollte. Milošević trat am 6. Oktober zurück, trotzdem steht die serbische Bevölkerung, 23 Jahre später, erneut auf demselben Scheideweg.

“Proteste verändern, aber die Veränderung kommt nicht von heute auf morgen”

Wie das passieren konnte, habe ich den Soziologen Slobodon Cvejić gefragt. Seit über 25 Jahren befasst sich Cvejić mit der Protest- und Bewegungsforschung im ehemaligen Jugoslawien. Er ist davon überzeugt, dass Proteste eine Veränderung bringen können, aber nicht über Nacht. “Dass nach dem Amoklauf über 150.000 Menschen in Belgrad auf die Straße gegangen sind, zeigt, wie verletzt sie sind. Es zeigt, sie wollen etwas bewegen, sie haben die Hoffnung in ihr Land nicht verloren”, sagt Cvejić. Obwohl sich die Dynamik der Anti-Gewaltproteste mittlerweile verändert hat, glaubt Cvejić weiterhin daran, dass das die einzige Art und Weise ist, wie eine Bevölkerung kollektiv ihren Frust über die vorherrschenden Zustände und die fehlende Demokratie im Land zum Ausdruck bringen kann.

Soziologe Slobodan Cvejić

Eine Wahl zwischen Demokratie und Autokratie

Im Dezember finden in Serbien vorgezogene Wahlen statt. Die Parlamentswahlen werden demnach ein Jahr früher als vorgesehen abgehalten. Auch das war eine Forderung der Demonstranten. Cvejić hofft, dass die Bevölkerung diesmal versteht, worum es geht und das politische Patt zwischen Regierung und Opposition sich selbst überlässt. “Vieles hat sich seitdem verändert. Die Oppositionsparteien haben sich neu formiert. Daran müssen die Serbinnen und Serben glauben. Am 6. Oktober 2000 haben wir es falsch gemacht. Diesmal ist unsere letzte Chance, uns für die Demokratie oder für die Autokratie zu entscheiden.” Was der Soziologe zu den aktuellen Spannungen im Land sagt, ob er eine zunehmende Unzufriedenheit bei den Menschen wahrnimmt und was passiert, wenn die Wahlen dennoch zugunsten von Aleksandar Vučić ausgehen, lest ihr demnächst in der Kleinen Zeitung.

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